Martin Federholzner braucht nur wenige Worte, um zu beschreiben, wie sich die Situation beim FSV Steinsberg 2014 darstellte. „Da stand ein Container und da waren die Bälle drin“, erzählt der heutige 3. Vorstand und Kassier des Vereins. Sofort hat man ein Bild vor Augen, wie es wohl am Fußballplatz in dem Pfarrdorf rund 20 Kilometer nördlich von Regensburg mit seinen heute rund 1800 Einwohnern ausgesehen haben mag. Dann aber passierte was – wobei „was“ eine Untertreibung ist. Es passierte vieles und das auch nicht einfach so.
Der Verein wählte eine neue Führungsmannschaft und es fand sich ein Kern von vier, fünf Personen, die sich gemeinsam die Frage stellten, ob sie alles einfach so weiterlaufen lassen, oder Änderungen anschieben. „Das war die Zeit, in der der Satz ‚Das haben wir schon immer so gemacht‘ aus unserem Vereinsleben gestrichen wurde“, erinnert sich Federholzner. Damals wie heute war der jetzige 1. Vorstand Stefan Schmeiduch einer seiner Mitstreiter und damit ebenfalls einer der Architekten des heutigen FSV Steinsberg, der mittlerweile 750 Mitglieder zählt. Dem Verwaltungs- und Organisationsexperten aus der Baustoffbranche war klar, dass mit purem Aktionismus nicht viel zu bewegen und vor allem nicht nachhaltig zu verändern ist. Deshalb schob er eine umfassende Bestandsaufnahme und Problemanalyse an. „Wir haben uns gefragt, welche Erfolgsfaktoren es für uns als klassischen Dorfverein gibt. Und egal über welchen Bereich wir gesprochen haben, immer spielte die Identifikation eine tragende Rolle. Du willst Menschen für eine Mitgliedschaft begeistern? Sie müssen wissen, warum, was das bedeutet und was das für sie bringt. Du willst Vereinsmitglieder langfristig halten? Wenn sie sich nicht mit dem Verein identifizieren, wird das kaum gelingen. Du willst Menschen für eine ehrenamtliche Mitarbeit im Verein begeistern? Ohne Identifikation mit dem Verein und für was er steht – keine Chance“, weiß Federholzner.
Deswegen ging es für die Macher zunächst auf einen kleinen „Vereins-Selbstfindungstrip“. Wofür steht der FSV Steinsberg? Oder besser: Wofür will er stehen? Es entstand die Vision eines Breitensportvereins, in dem natürlich auch sportliche Erfolge eine Rolle spielen, aber eben auch Gemeinschaft, Zusammenhalt, Spaß und das gesellschaftliche Leben ihrer Heimat Steinsberg. Eine Adresse für Sport und gelebte Dorfgemeinschaft. „Wir haben uns ganz schnell davon verabschiedet, dass alle Spieler Geld bekommen, damit sie unser Trikot tragen und vielleicht sportlich weiterhelfen. Wir wissen, dass es mittlerweile normal ist, bis in unterste Ligen mit Aufwandsentschädigungen und Prämien zu locken. Aber nicht bei uns“, berichtet der 2. Vorstand, Christian Brandl und Martin Federholzner hat gleich eine passende Anekdote parat: „Einer unserer besten Spieler hat mal ein Angebot von einem anderen Klub aus der Region bekommen. Sie würden das doppelte zahlen wie Steinsberg. Diese Aussage war für den Spieler natürlich eine schöne Wertschätzung, hätte ihm halt nur bei null Euro nichts gebracht“, erklärt Federholzner lachend. Und so ganz konsequent ziehen sie auch beim FSV Steinsberg das Prinzip des nicht-bezahlens nicht durch. „Nein“, gibt Federholzner unumwunden zu. „Wir haben einzelne Fälle, in denen auch wir bezahlen. Aber das ist ganz klar definiert und auch vollkommen transparent. Die Sache ist, dass wir immer schauen, ob wir für eine bestimmte Aufgabe im Verein jemanden direkt aus unserem Verein oder aus Steinsberg finden. Und wenn das nicht der Fall ist, müssen wir uns natürlich Hilfe von außen holen. Dann ist es selbstverständlich, dass wir zum Beispiel einem Trainer auch finanziell entgegenkommen, wenn er für seine Aufgabe extra anreisen muss“, erklärt Federholzner. Dabei spielen dann Kommunikation und Offenheit eine große Rolle, um eine mögliche Neiddebatte gar nicht erst aufkommen zu lassen. „Da gibt es aber keine Probleme – eben, weil es so klar abgegrenzt ist und auch klar ist, dass es sich wirklich um sinnvolle und angemessene Beträge handelt“, so der heutige Hauptkassier des Vereins. Wir haben uns damit aber auch ganz klar als Breitensportverein positioniert. Hier macht niemand etwas, um seine Finanzen aufzubessern. Und jeder weiß, dass es bei uns nicht um maximalen Erfolg geht, sondern um mehr“, ergänzt Brandl.
Dem neuen Führungsteam war auch klar, dass die Vereinsarbeit auf möglichst viele Schultern verteilt werden muss und neue Mitstreiter nur begeistert werden können, wenn die Aufgaben möglichst attraktiv und vor allem auch möglichst effektiv und flexibel erledigt werden können. Und hier beschritt der FSV einen zwar logischen, seinerzeit aber höchst innovativen Weg. „Wir haben unsere Vereinsverwaltung und alles was EDV betrifft schon 2014 zentralisiert und ortsunabhängig gemacht. Das heißt, dass wir alle Dateien, mit denen gearbeitet werden muss, auf einem Vereins-Server liegen und die zuständigen Leute jederzeit von überall darauf zugreifen können. Das hört sich total kompliziert an, ist es aber gar nicht. Natürlich muss man sich ein bisschen damit beschäftigen oder sich Rat holen, aber das ist in Sachen ‚modernes Arbeitsumfeld‘ ein Riesenschritt und eine wahnsinnige Entlastung für alle, die sich im Verein engagieren“, erzählt Federholzner. Ein Amateurverein mit „mobilen Arbeitsplätzen“. Wer in der aktuellen Pandemiezeit die Diskussionen und den technischen Stand beim „Home-Office“ in der Industrienation Deutschland verfolgt hat, weiß, dass das 2014 in Steinsberg für manche ein wenig nach Science Fiction geklungen haben muss. Das System hat sich aber schnell etabliert, eben weil die Vorteile auf der Hand liegen. Ohnehin gehe es bei allen Überlegungen der Vereinsführung immer darum, alle Aufgaben und Prozesse rund um den Verein maximal zu automatisieren und zu vereinfachen.
„Der Mähroboter ist dafür auch so ein Beispiel“, berichtet Federholzner. „Den haben wir 2018 angeschafft. Der macht seinen Job und seitdem hat der Platzwart viel mehr Zeit für Dinge, die dem Verein viel mehr bringen, als ein schöner kurzer Rasen.“ Federholzner spielt auf die Pflege des Vereinsgeländes rund um den Platz an. Wo einst einsam der Ball-Container stand, findet sich heute eine echte Sport- und Freizeitoase. Das vorerst größte Projekt war dabei der Bau des Vereinsheims. Das haben die Steinsberger komplett in Eigenleistung realisiert. Auf diese Weise konnte die Investition auf sehr moderaten 140.000 Euro gehalten werden. „Wenn wir das gleiche Vereinsheim hätten bauen lassen, wären wir bei 600.000 Euro gelandet“, weiß der Kassier. Das größte Plus für den Verein sei aber auch heute noch das Gefühl der Beteiligten. „Das ist natürlich für die Bindung zum Verein unbezahlbar, wenn alle sehen können, was die Mitglieder des Vereins zu leisten im Stande sind und wenn man sich als damals Beteiligter heute das Gelände anschaut und sich sagen kann: das habe ich mitgebaut – für den Verein und die Menschen in Steinsberg“, erzählt Brandl und man merkt den Stolz, der in den Worten mitschwingt. Abgesehen davon wurden durch die Immobilie natürlich auch Werte geschaffen, die dem Verein langfristig erhalten bleiben. „Infrastruktur ist immer etwas langlebiges“, weiß Federholzner.
Dabei blieb es aber natürlich nicht. Schließlich ging es darum, einen Ort der Begegnung zu schaffen, eine Anlaufstelle für alle Steinsberger. Deswegen stehen neben dem Vereinsheim mittlerweile eine Torwand, eine Tischtennisplatte, sogar ein Minigolfplatz gibt es und einen zum Großteil aus Europaletten bestehenden Pavillon. „Das wird vom Platzwart in Schuss und vor allem sauber gehalten und deshalb kommen in ihrer Freizeit auch viele Familien mit ihren Kindern zum Platz“, so Federholzner. Da schließt sich der Kreis – vom Mähroboter zur Freizeit-Wohlfühloase. Aber auch damit nicht genug.
Das Vereinsheim ist von Anfang an – wie sollte es anders sein – effektiv geplant worden und man kann es quasi als „Smart-Vereinsheim“ bezeichnen. Hier gibt es zum Beispiel Getränke, aber keinen Wirt, der sie ausgibt oder abrechnet. „Man muss sich ja fragen, was Sinn macht, und da haben wir uns gegen eine klassische bewirtschaftete Vereinsgaststätte entschieden. Wir haben ein Kamera- und Chipsystem und einen Getränkeautomaten. Es wird registriert, wer was konsumiert und das wird dann in Rechnung gestellt. Und für die Befüllung wird ein Foto vom Bestand gemacht. Das geht an unseren Getränkelieferanten und der befüllt den Automaten sobald Bedarf besteht. Dadurch hat einerseits kaum jemand Arbeit und andererseits weiß jeder, dass quasi jederzeit was da ist und es lohnt, sich bei uns am Platz zu treffen.
Neuestes Innovationsprojekt ist das Kamerasystem, mit dem der FSV die Spiele und Trainings an seinem Platz aufzeichnet. Was in Bayern hauptsächlich als Lösung von Sporttotal.TV bekannt ist, durch die der Bayerische Fußball-Verband es in den letzten Jahren vor allem den Amateurspitzenvereinen ermöglicht hat, für geringe Kosten Meisterschafts- und Pokalspiele reichweitenstark live im Internet zu übertragen, machen sie in Steinsberg selbstverständlich in Eigenregie. Die passende Technik und Software mit einem lokalen Dienstleister ausgetüftelt, einen Kameramast in Eigenleistung aufgestellt und los gings. „Wir haben Investitionen zwischen 1000 und 1500 Euro und sind gespannt, wie sich das Projekt entwickelt. Aber das Interesse der Trainer und Spieler an den neuen Möglichkeiten ist riesig und wir sind überzeugt, dass sich die Idee auszahlt. Angefangen von der Entwicklung und Qualität des Trainings und der Mannschaften bis hin zur möglichen Verwertung in den Sozialen Medien und für die wichtige Medienarbeit und die Außendarstellung des Vereins gerade bei Jüngeren“, erklärt Federholzner.
Glücklich kann sich schätzen, wer Typen wie Brandl und Federholzner in seinem Verein hat, mag man nun denken. „Natürlich war es auch bei uns so, dass wir 2014 mit dem kleinen Team gestartet sind und entsprechend viel Herzblut und Arbeit investiert wurde“, weiß Federholzner. Mittlerweile hat der Verein aber zwischen 60 und 70 fleißige Helfer in den unterschiedlichsten Bereichen und den unterschiedlichsten Altersgruppen. Das Organigramm auf der regelmäßig aktualisierten Homepage des Vereins kann sich sehen lassen und dort kann auch jeder Interessierte sehen, mit wem er es beim FSV zu tun hat, oder wen er für welches Thema ansprechen muss. Diese Masse an Menschen zu begeistern, geht nicht nur mit einem „mobilen Arbeitsplatz“ als Anreiz. „Wir sind sehr aktiv, was die Organisationsstruktur des Vereins angeht. Natürlich wissen wir, dass bei einem klassischen Sportverein immer viel vom Engagement einzelner abhängt – und vor der Gefahr, dass vieles wieder zusammenbricht, wenn solche Stützen im Verein wegfallen, ist man nie gefeit. Umso wichtiger ist es deshalb, die Verantwortung zu verteilen. Wir führen deshalb gezielt junge Mitglieder an unterschiedliche Aufgaben heran und geben ihnen auch individuellen Gestaltungsspielraum. Andere, die eine bestimmte Funktion aufgeben, weil sie vielleicht nicht mehr die Zeit dafür haben, versuchen wir trotzdem zu halten. Dann gibt es halt einen dritten oder vierten Kassier. Der hat dann mit dem operativen Geschäft wenig zu tun, aber es gibt ihn und der Kontakt zum Verein bleibt bestehen“, erklärt Federholzner. „Und bei allem sind flache Hierarchien ganz wichtig“, ergänzt Brandl. „Von oben durchregieren? Kann man machen. Das ist aus unserer Sicht aber nicht zielführend. Wir sind überzeugt: Jede Idee ist eine gute Idee und sie ist es wert, diskutiert zu werden. Jeder kann sich einbringen und fühlt sich dann auch ernst genommen. Unsere Jahreshauptversammlung ist so ein Beispiel. Unsere Turnabteilung hat sich in der Pandemie und im Lockdown die Frage gestellt, wie der Kontakt zu den Vereinsmitgliedern bestehen bleiben und das Training trotz Kontaktbeschränkungen durchgeführt werden kann. So kam überhaupt das Thema „Online-Übertragung“ bei uns auf. Wir haben dann alle zusammen überlegt und am Ende gab es nicht nur Online-Training der Turner mit Angeboten für unsere Ü70-Mitglieder, sondern eben auch die Live-Übertragung der Jahreshauptversammlung. Wir haben damit absolutes Neuland betreten und uns auch externe Hilfe geholt“, erzählt Brandl. Ein IT-Experte aus dem Ort, der bis dato nichts mit dem Verein zu tun hatte, fühlte sich angesprochen und hat sich in das Thema vertieft. Am Ende stand eine professionelle Live-Übertragung mit Redebeiträgen des Vorstands, zugeschalteten Teilnehmern wie BFV-Präsident Rainer Koch und eingespielten Präsentationen. „Das Audioequipment kam dabei von einer Band hier aus dem Ort. Für die war das auch einfach ein spannendes Thema und unser IT-Experte hat auch gemerkt, dass der FSV Steinsberg nicht einfach nur ein Sportverein ist, sondern eben auch Anlaufstelle und Treffpunkt für die unterschiedlichsten Menschen, mit denen man zwar Tür an Tür wohnt, die man aber womöglich ohne solche Ereignisse nie wirklich kennenlernen würde“, erzählt Brandl. Mittlerweile besitzt der Klub ein Greenscreen, mit dem nicht nur mögliche Live-Übertragungen aufgepeppt werden können, sondern vor dem nun auch die Fotos für die Vereinskleidung aufgenommen werden. Das wiederum führt zu professionelleren Flyern und einer professionelleren Wahrnehmung des Vereins.
Vor kurzem hat der Verein sogar seine Mitgliedsbeiträge erhöht. Was für viele bayerische Vereinsvorstände ein Schreckensszenario und Garant für Mitgliederschwund ist, schlug in Steinsberg keine hohen Wellen. „Gerade, was die Finanzen angeht, ist Transparenz extrem wichtig und natürlich muss man auch gut begründen können, warum wann was macht. Wir haben den Jahres-Kinderbeitrag von 30 Euro auf 50 Euro angehoben, den gleichen Betrag wie für Erwachsene. Natürlich kommt dann das Argument, dass Kinderbeiträge günstiger sein müssen. Weil es immer so war. Im Endeffekt ist es aber so, dass Kinderbeiträge höher sein müssten, da sie auch höhere Kosten verursachen. Von der Betreuungsleistung eines Vereins ganz zu schweigen. Wenn man das offen darlegt, gibt es auch keine großen Diskussionen. Mit der Gebührenerhöhung haben wir zudem einen Einheitsbeitrag geschaffen, der den Aufwand in der Buchhaltung optimiert. Da wird ein Mitglied 18 Jahre alt und was passiert? Nix, weil es keinen anderen Beitrag zu buchen gibt und im System nichts umzustellen ist. Das sind zum Teil nur Nuancen, aber die Menschen merken, dass man sich dabei was gedacht hat“, erklärt Federholzner und spielt damit Christian Brandl wieder den Ball zu, der gleich ansetzt. Denn über die Jahre hat sich natürlich die Wahrnehmung des Vereins auch bei anderen Entscheidern verändert, zum Beispiel in der Politik.
„Es ist schon so, dass sich da was geändert hat. Beim Bürgermeister oder anderen Politikern reden wir ja von Menschen, die permanent mit den unterschiedlichsten Wünschen und Forderungen konfrontiert werden und dann entscheiden müssen. Beim FSV Steinsberg wissen sie, dass da zum einen immer ein Konzept, etwas Langfristiges dahintersteht und zum anderen, dass die nötige Konstanz bei den Machern und damit die nötige Verbindlichkeit gegeben sind“, erklärt Brandl. Deshalb sind sie beim FSV auch zuversichtlich, den geplanten Bau eines weiteren Platzes gut über die Bühne zu bekommen. Es wäre nicht das erste und höchstwahrscheinlich auch nicht das letzte Puzzlestück in der Erfolgsgeschichte des FSV Steinberg vom Klub mit dem Ballcontainer zum florierenden Dreh- und Angelpunkt für Sportbegeisterte und Familien im oberpfälzischen Steinsberg.