Augsburg im November. Ein typischer Tag: grauer Nebel, Tristesse, die ersten Schneeflocken. Ich fahre auf das Gelände der WWK-Arena. Es ist noch früh am Tag, aber mein heutiger Gesprächspartner öffnet mir schon die Tür zur – bei diesem Wetter fast heimeligen – Geschäftsstelle des Fußballbezirks Schwaben.
Ich kenne Martin Meyer, den Vorsitzenden des Bezirks-Sportgerichts schon sehr lange, war vor 15 Jahren bei seiner Wahl zum Obmann der Schiedsrichtergruppe Augsburg dabei, hatte seine tatkräftige und stets zuverlässige Unterstützung bei der Organisation von Großveranstaltungen. So ist meine erste Frage für mich naheliegend: Wie kommt es, dass ein Obmann in den Bereich der Sportgerichte wechselt?
Für die Antwort muss der verheiratete Vater von zwei erwachsenen Töchtern etwas ausholen. Martin Meyer war im Juniorenbereich aktiver Spieler beim TSV Königsbrunn, zeitweise auch beim FC Augsburg. 1987 legte er seine Schiedsrichterprüfung ab und leitete Spiele bis zur Bayernliga; Schiedsrichterassistenzen führten ihn zusammen mit Winfried Buchhart und Günter Holz auch in die Regionalliga. Der Bankfachwirt arbeitete im Führungsteam seiner Schiedsrichtergruppe Augsburg als Verantwortlicher für die Finanzen mit und wurde 2006 zum Obmann gewählt.
Im Jahr 2014 trugen zwei Männer entscheidend zu seiner Umorientierung bei. Wilfried Ostrowski, langjähriger Beisitzer im Bezirks-Sportgericht (BSG), fragte ihn, ob er sich eine Mitarbeit im Sportgericht vorstellen könne. Martin Meyer, der eigentlich kein weiteres Funktionärsamt mehr im Auge hatte, fand es spannend und herausfordernd, den Fußball einmal aus einer anderen Perspektive betrachten zu können und fing an zu überlegen. Und da kam Helmut Schmid, erfahrener Vorsitzender des BSG, gerade zur rechten Zeit. Martin Meyer durfte bei Sitzungen „hospitieren“ und konnte dabei über Monate viel lernen. Im April 2015 wurde er als Sportrichter berufen und im Dezember 2015 übernahm er von Helmut Schmid den Vorsitz des BSG Schwaben.
Er hat es nicht bereut, auch wenn so mancher schwierige Faktor sein Ehrenamt nicht einfacher macht. „Wie fühlt man sich zum Beispiel, wenn das Verbands-Sportgericht (VSG) ein Urteil des BSG in der Berufung oder Revision nicht bestätigt?“, frage ich ihn. Diesen Punkt sieht der mittlerweile selbst erfahrene Sportrichter sachlich und deswegen relativ entspannt. Er erklärt mir, dass das BSG bei Berufungen gegen Urteile eines Kreis- (KSG) oder Jugend-Sportgerichts (JSG) ebenfalls die Rechtsprechung der Erstinstanz prüfen muss. So ist es eben auch bei Rechtsmittelverfahren gegen Urteile des BSG. In diesen Fällen überprüft dann das VSG die Sachverhaltsaufklärung und Beweiswürdigung des BSG bzw. die Urteile u. a. auf rechtliche Fehler. Martin Meyer vergisst dabei nicht, auf die schwierige Arbeit der KSG/JSG hinzuweisen: „Jeder von uns ist bestrebt, die richtigen Entscheidungen zu treffen, nichts ‚falsch zu machen‘. Bei der hohen Anzahl der Verfahren in den KSG/JSG, die sich zunehmend mit zeitintensiven, komplexen Verfahren beschäftigen müssen und an ihrer Kapazitätsgrenze arbeiten, liegt es in der Natur der Sache, dass auch einmal Urteile im Berufungsverfahren korrigiert werden müssen. Allerdings kommt dies nur in einem sehr geringen Umfang vor. Wir haben in Schwaben sehr gut arbeitende KSG und JSG.“
Für Martin Meyer war in der laufenden Legislaturperiode auch der verstärkte Personalwechsel innerhalb der Sportgerichte ein Umstand, der ihn an seine Grenzen gebracht hat: „Wenn plötzlich ein Sportrichter fehlt, können Fälle nicht unmittelbar bearbeitet werden. Der ‚Laden‘ muss ja laufen, es muss recherchiert werden und es gibt Fristen.“ Deswegen ist er seinem Bezirksvorsitzenden, Dr. Christoph Kern, dankbar für die tatkräftige Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Kandidaten. Das ist manchmal nicht einfach, weil auch die personelle Zusammensatzung passen sollte. Wunschdenken: je ein Sportrichter mit Erfahrung als Vereinsverantwortlicher, Trainer und Schiedsrichter. Eine juristische Grundqualifikation wäre bei einem der Mitglieder zwar förderlich, ist jedoch nicht Voraussetzung.
Trotz all dieser Überlegungen steht für den 55-Jährigen ein positives Fazit seiner bisherigen Funktionärstätigkeit beim BFV fest. Er wollte etwas zurückgeben dafür, dass andere ihm eine aktive Laufbahn ermöglicht haben. Er hat Freude an seinem Amt als Sportrichter, konnte die Herausforderungen bewältigen, seine persönlichen Fähigkeiten erfolgreich einsetzen und sich dadurch auch weiterentwickeln.
Für die Zukunft der Sportgerichte sieht Martin Meyer – bedingt durch die Corona-Pandemie und den zurückliegenden Personalwechsel – nachdenkenswerte Ansatzpunkte der Weiterentwicklung: „Wir müssen ein günstiges Arbeitsumfeld mit einem für den berufstätigen Menschen vertretbaren zeitlichen Rahmen schaffen. Hierfür gilt es, bisherige Arbeitsweisen und Methoden auf den Prüfstand zu stellen und sich den bereits vorhandenen Möglichkeiten aus der Rechts- und Verfahrensordnung, wie z.B. die Einzelrichterentscheidung bei einfach gelagerten Verfahren, oder Hybridsitzungen (Kombination aus Präsenzsitzung und Videozuschaltung) zu öffnen. Dies ist förderlich und notwendig, auch für die Rekrutierung neuer ehrenamtlicher Sportrichter.“ Dazu braucht man natürlich die technische Ausstattung und eine geeignete Plattform. Mit diesen Maßnahmen könnte man aber lang dauernde Sitzungen begrenzen und so die Attraktivität für die Ehrenamtlichen steigern.
Am Ende des Gesprächs habe selbst ich als langjährige Funktionärin des BFV viel Wissenswertes mitgenommen und einiges gelernt. Verständlich und nachvollziehbar finde ich auch den Wunsch des BSG-Vorsitzenden Martin Meyer nach mehr Respekt und Anstand auf den Fußballplätzen. Dabei geht es ihm nicht um rote Karten, die in einem Kontaktsport, wie es der Fußball eben ist, unvermeidbar sind. Es sind vielmehr die wenigen (aber trotzdem zu häufigen) Fälle überschäumender, negativer Emotionen und ungebührlichen Verhaltens, die zu unschönen Eskalationen führen und den Sportgerichten zu schaffen machen.
Ob sein Wunsch in Erfüllung gehen kann? … Die Hoffnung stirbt zuletzt. ... Oder? … Allein der gute Vorsatz wäre schon ein erster Schritt. Also: Warum eigentlich nicht?