Zum Teil dramatische Meldungen zu rückläufigen Vereinsmitgliedschaften dominieren in Zeiten, in der die Corona-Pandemie den Breitensport und die vielfältige Vereinslandschaft im Würgegriff hat. Im vergangenen Sommer zog der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Bilanz und meldete, dass bei der jährlichen Erfassung deutschlandweit offiziell nur noch 7,06 Millionen Mitglieder registriert waren -der tiefste Stand seit 2017. Nur ein Jahr zuvor (2019) hatte er noch einen neuen Mitgliedrekord verkündet (7,17 Millionen). Ein Rückgang von 110.000 Mitgliedern in nur einem Jahr. Eine immense Zahl, die aber Dank der großen Vereinstreue zumindest kleiner ausfiel, als befürchtet. „Die vorliegenden Daten machen deutlich, dass wir vor großen Herausforderungen stehen. Sie zeigen aber auch, wie robust und widerstandsfähig der Amateurfußball mit seinen Vereinen ist“, sagte Heike Ullrich, damals stellvertretende Generalsekretärin des DFB, und ergänzte optimistisch: "Der Amateurfußball lebt."
In Bayern sank die Zahl der Vereinsmitglieder im Jahr 2020 sportartenübergreifend um über 90.000, ein Minus von 1,9 Prozent zum Vorjahr. Es ist wenig überraschend, denn dort, wo aufgrund der Einschränkungen keine Angebote von den Vereinen gemacht werden können, sehen viele auch keinen Grund, an ihrer Mitgliedschaft festzuhalten. Und erst recht sehen viele Eltern keinen Grund, ihre kleinen Kinder in einem Sportverein anzumelden, wenn dort kein Sport getrieben werden kann.
Da wirkte der Post auf der Social Media-Plattform Instagram fast wie eine Botschaft aus einem fernen, sonnigen Land: Der TSV Trudering verkündete am 16. November 2021, dass selbst in Corona-Zeiten die Zahl der Vereinsmitglieder anstieg, im Zeitraum der letzten drei Jahre sogar insgesamt um 400 auf heute 2500. Wie kann das sein? Reines Glück, eine kreative Idee oder langfristige Planung? Ein bisschen von allem, wie sich bei einem Telefonat mit Peter Kisters herausstellt. Er ist in seiner Funktion als hauptamtlicher Geschäftsführer auch gleich einer der entscheidenden Faktoren für den „Trudering-Erfolg“.
Grundsätzlich stand und steht der Verein im Münchner Osten in der Pandemie vor dem gleichen Problem wie alle anderen Vereine im Freistaat auch: die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Maßnahmen, die die Möglichkeiten des geregelten Sportbetriebs einschränken. Allerdings, so erzählt es Kisters, befasste er sich intensiv mit allen Vorgaben und konnte in seiner Funktion als Geschäftsführer immer sehr schnell die richtigen Weichen stellen: „Wir haben im Grunde genommen immer unmittelbar reagieren können, nachdem sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Dadurch haben wir ganz wenig Zeit verloren und so sicher länger den Sportbetrieb aufrechterhalten, anpassen und auch schneller wieder hochfahren können als viele andere Vereine.“ Das ist sicher ein Vorteil und zahlt unmittelbar auf die Laune der Vereinsmitglieder ein, aber damit allein lässt sich der Zuwachs natürlich nicht erklären. Ein richtiges Pfund in der Corona-Pandemie beim TSV war die Sportart „Schwimmen“. Der Verein und allen voran wieder sein Geschäftsführer haben in der Zeit der großen Einschränkungen eine komplett neue Abteilung gegründet und damit einen Nerv getroffen. In kürzester Zeit fanden sich 200 neue Mitglieder, die jetzt im Schwimmbecken die Farben des 1925 gegründeten Sportvereins hochhalten. Und nachdem im Sommer auch der Fußballsport weitestgehend einschränkungsfrei seinen Betrieb wieder aufnahm, brachten die Eltern ihren Nachwuchs in Scharen zum Trainingsgelände. Aktuell kicken die Kinder in insgesamt 22 Nachwuchsmannschaften. „Wir haben natürlich auch das Glück, dass wir in einem Umfeld mit vielen Familien beheimatet sind und aktuell auch ein großer Zuzug stattfindet. Und wir leben seit vielen Jahren das Motto ‚Wir sind Trudering‘ und sind mit unseren Angeboten extrem präsent bei den Menschen, die hier leben“, erklärt Kisters.
Nur Glück wäre deshalb dann auch sicher zu kurz gegriffen. Natürlich: Diesen Standortvorteil muss man erstmal haben. Auch eine Schwimmabteilung kann wohl nur von den wenigsten Vereinen kurzfristig aus der Taufe gehoben werden und macht im Zweifel ohne Schwimmbad vor der Türe ohnehin wenig Sinn. Doch ein wichtiger Teil der Truderinger Erfolgsgeschichte basiert eben nicht auf Glück, sondern auf Entscheidungen, die bereits vor längerer Zeit getroffen wurden. Man muss schließlich auch Potenziale erkennen und für sich nutzen können. Da ist sicher die historische Entscheidung, den TSV als Breitensportverein mit einem vielfältigen Angebot zu etablieren. Im Jahr 2000 waren es fünf Abteilungen mit 1300 Mitgliedern, heute sind es zwölf mit den neuerdings 2500 Sportbegeisterten. Da ist aber vor allem die Entscheidung vor gut vier Jahren, einen hauptamtlichen Geschäftsführer zu installieren, der Projekte im Zweifel immer besser anschieben und umsetzen kann, als der engagierteste Ehrenamtler.
Große Projekte sind zeitintensiv, sie brauchen auch eine hohe Dynamik, schnelle und trotzdem durchdachte Entscheidungen und mit Sicherheit auch einen intensiven Kontakt mit anderen Entscheidern und Gönnern vor Ort. Das ist meist schon allein zeitlich in einem klassischen Ehrenamt nicht zu leisten. Und dann auch noch die ganzen Angebote im Vereinsumfeld bei den potenziell Interessierten bewerben? Wer soll das denn alles leisten, ist die nicht zu Unrecht gestellte Frage. Beim TSV Trudering haben sie diese mit der Position eines hauptamtlichen Geschäftsführers beantwortet. Auch das ist aktuell sicher nicht für jeden Verein eine realistische Option – vielleicht eher noch nicht. Denn auch beim TSV stellte sich damals die Frage, was perspektivisch Sinn macht. Wer darauf heute eine Antwort sucht, sollte sich den Insta-Account des Vereins anschauen. Da ist sie in einen schicken Post mit vielen glücklichen Kindern verpackt.