Der provozierende Torjubel, mit dem türkische Nationalspieler in den Länderspielen gegen Albanien und Frankreich ihre Solidarität mit der Militäroffensive von Präsident Erdogan gegen die Kurden in Nordsyrien demonstriert haben, hat im bayerischen Amateurfußball erste Nachahmer gefunden. Auch medial schlägt das Thema deutschlandweit hohe Wellen. Der Bayerische Fußball-Verband (BFV) hat sich dazu klar positioniert.
Im Doppelinterview diskutieren Dr. Vural Ünlü (Vorstandssprecher der Türkischen Gemeinde in Bayern) und der für Rechtsfragen zuständige BFV-Vizepräsident Reinhold Baier über die Bedeutung des „Salutierens“, das Verbot, den Fußball für politische Bekundungen zu instrumentalisierten und darüber, wie bayerische Amateurvereine mit der Thematik umgehen sollten.
Wie beurteilen Sie den „Salut-Jubel“ mit dem der Fußball mutmaßlich zu Propaganda-Zwecken für Erdogans Politik gebraucht wird?
Vural Ünlü: Der „Salut-Jubel“ darf nicht reduziert werden auf eine platte Erdogan-Unterstützung oder eine Gier auf kriegerische Konfrontation. Das ganze Thema ist sehr komplex, weil da der kulturelle und historische Kontext mit reinspielt. Bei den meisten Türken spielt eher die Solidarität mit den Soldaten, die ja seit Jahrzehnten im Kampf gegen die Terrororganisation PKK (und ihren syrischen Ableger PYD) ihr Leben gelassen haben, nicht in erster Linie Erdogan und seine Politik, eine zentrale Rolle. Ich bin Pazifist und halte nichts von Gewalt. Krieg ist schlecht - das Leid der zivilen Bevölkerung wird ausgeblendet - und sollte daher niemals glorifiziert werden. Salutierungs-Gesten finde ich daher grundsätzlich problematisch und sind insbesondere auf deutschem Boden fehl am Platz, was auch dem historischen Kontext hierzulande geschuldet ist.
Die Uefa verbietet in ihren Statuten politische Bekundungen jeder Art – aus Ihrer Sicht zurecht?
Ünlü: Ein Äußerungsverbot ist aus meiner liberalen Sicht zumindest diskussionswürdig. Wir leben in extrem politischen Zeiten und deshalb sollte es auch kein grundsätzliches Verbot geben, sich im Sport politisch zu positionieren. Natürlich gibt es Grenzen der Meinungsäußerung, insbesondere, wenn diese als Provokation interpretiert und die körperliche Unversehrtheit der Spieler, Fans und Unparteiischen gefährden. Wir sollten aber nicht ausblenden, dass in der Vergangenheit politische Äußerungen immer wieder Positives bewegt haben – nehmen wir den Kniefall-Protest in der National Football League (NFL) oder den olympischen Black Panther-Gruß, den viele Sportler übernommen haben. Ein entpolitisierter Sport ist illusorisch. Ich will militaristische Salut-Gesten nicht mit klassischen Bürgerrechtsaktionen in einen Topf werfen, aber mir geht es um etwas Grundsätzliches: Man kann Sport und Politik nicht strikt trennen und Fußballverbände bewegen sich auf einem sehr wackeligen Boden, wenn Sie paternalistisch oder gar selektiv die Meinungsfreiheit zensieren und politische „Überschreitungen“ bestrafen. In logischer Konsequenz würde das bedeuten, dass notwendigerweise auch klimaaktivistische Gesten von Fußballern sanktioniert werden müssen. Der Sport kann ja auch ein guter Brückenbauer sein. Es kommt halt auf das Thema an.
Reinhold Baier: Dass der Sport ein guter Brückenbauer ist, steht außer Frage. Das ist eine seiner größten Stärken und die sollte er auch konsequent nutzen. Es gibt aber sehr wohl einen wichtigen Unterschied zwischen einem politischen Statement und einem gesellschaftlichen Statement. Niemand stellt außer Frage, dass im Fußball klare Zeichen für ein respektvolles und friedliches Zusammenleben gesetzt werden. Das macht der Fußball in Bayern ja selbst sehr aktiv mit seinen Aktionen und Statements gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung jeder Art. Und das ist auch gut so! Hier geht es um Werte, zu denen sich die Fußballfamilie weltweit bekennt. Etwas anderes sind Handlungen, die die Unterstützung einer einzelnen politischen Ausrichtung oder Handlung symbolisieren. Da gibt es die ganz klare, weltweit gültige Vereinbarung, dass der Fußball dafür keine Bühne ist und bieten soll. Das ist auch absolut richtig.
Wie sollten Amateurvereine aus Ihrer Sicht mit dem Thema umgehen?
Ünlü: Ein Verbot der „Jubel-Geste“, so glaube ich, ist nicht wirklich zielführend und wird eher das Gegenteil bewirken: Es würde die Eskalationsspirale anheizen und so zu einer Jetzt-erst-Recht-Haltung führen. Dass jetzt Amateurfußballer den Jubel nachahmen, hat auch viel mit Gruppendynamik zu tun. Das Thema ist in den Medien sehr präsent und die Spieler fühlen sich verpflichtet, ein Zeichen zu setzen und die Geste zu kopieren. Wie gesagt, geht es den meisten dabei nicht darum, Erdogan und seinen Krieg zu unterstützen, sondern darum, Solidarität für Soldaten in einem jahrzehntelangen Kampf gegen Terrorismus zu bekunden. Sinnvoller ist es, auf den Dialog zu setzen und klarzumachen, dass solche Gesten auf deutschem Boden völlig deplatziert sind und letztendlich in eine Isolation münden. Es kann in der Konsequenz dazu führen, dass Spiele mit türkisch-dominierten Klubs abgebrochen bzw. boykottiert werden und man sich dann alleine auf dem Rasen findet. Ich denke, das ist eine größere Demütigung und Strafe als sie ein Fußballverband zu verhängen in der Lage ist.
Baier: Wir sind in erster Linie Fußballer und vertreten die Werte des Fußballs. Wir sind nicht deutsche Fußballer, nicht türkische Fußballer oder Fußballer einer bestimmten Nationalität, sondern einfach Fußballer, die zusammen Sport treiben – das ist unsere gemeinsame Basis und ich halte Aktionen, die – aus welchem Hintergrund auch immer – Abgrenzungen schaffen, für den falschen Weg. Denn sie verbinden nicht, sie trennen. Das erleben wir doch jetzt wieder. Solche Diskussionen brauchen wir schlicht nicht auf dem Platz. Für uns als Verband wie auch für jedes einzelne Mitglied steht außer Frage, bei allen Themen und Problemen immer auch den Weg des Dialogs zu beschreiten. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit und ist beim BFV etabliert. Das ist die Basis unseres gemeinschaftlichen Zusammenlebens, wie es tagtäglich in unserer Gesellschaft und damit auch in den tausenden Fußballvereinen praktiziert wird. Und selbstverständlich beschreiten wir diesen Weg auch in der aktuellen Situation – indem wir unmittelbar auf die Vereine zugehen und jeden Vorfall aufarbeiten. Nicht im stillen Kämmerlein, sondern mit den Betroffenen zusammen. Fakt ist aber auch: Es gibt im Fußballsport klare Regeln. Der BFV vertritt eine Null-Toleranz-Politik bei politischen Statements und Verstöße werden ebenso mediativ wie sportgerichtlich aufgearbeitet. Das beinhaltet ja auch wieder den Dialog. Denn natürlich muss immer geschaut werden, wer im Einzelfall was aus welchem Grund gemacht hat. Das geht schon damit los, dass es etwas anderes ist, ob ein Kind oder Jugendlicher einfach etwas nachahmt, ohne wirklich einschätzen zu können, was die Handlung bedeutet und welche Konsequenzen sie hat, oder ob sich jemand der Bedeutung und der Konsequenzen voll bewusst ist und sich trotzdem den allgemeingültigen Regeln der Fußballfamilie widersetzt. Im Fall des Kindes oder des Jugendlichen wird der Fokus immer darauf liegen, aufzuklären, zu sensibilisieren und die Hintergründe für die Null-Toleranz-Haltung zu erklären. Da sind insbesondere die Trainer und Betreuer in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. Es kann nicht sein, dass ein Trainer bei ihm anvertrauten Kindern in solchen Fällen nicht reagiert oder diese schlimmstenfalls sogar instrumentalisiert. Bei Menschen, die sich ganz bewusst über Regeln hinwegsetzen, kommen zum Dialog aber auch die Sanktionen hinzu. Regeln und Sanktionen gehören untrennbar zusammen, wenn auch das Maß der Sanktionen immer angemessen sein muss. Die aktuelle Diskussion besitzt solch eine Kraft, dass jedem klar sein muss, was er hier tut. Wir sind damit weit entfernt von einer Art Dummejungenstreich. Auch das will ich hier klar sagen.
Vural Ünlü ist seit 2009 Vorstandssprecher der weltlich-liberal orientierten Türkischen Gemeinde in Bayern, deren Vorstand mehrheitlich weiblich besetzt ist. Der am 4. Juli 1972 in Ankara geborene und in Cloppenburg aufgewachsene promovierte Medienökonom ist parteilos, besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft und spricht fünf Sprachen flüssig. Sein betriebswirtschaftliches Studium schloss Vural Ünlü in London und Reutlingen im Rahmen des Europäischen Studienprogramms für Betriebswirtschaft (ESB) mit einer First-Class Honours Auszeichnung ab. Darüber hinaus erwarb er einen MBA mit Distinktion von der jesuitischen Universidad Pontificia Comillas (ICADE), Madrid. Er promovierte im Bereich Rechtemanagement und Spieltheorie an der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre der Ludwig-Maximilians-Universität München.