Wer der Gegner war, wissen sie nicht mehr. Doch ansonsten erinnern sich Simon Müller und Alexander Greß noch ziemlich genau an diesen Sonntag im Frühjahr 2011. Sie sind mal wieder zu Besuch bei einem Spiel der SG Oberschwarzach/Wiebelsberg, ihrem Heimatverein. A-Klasse 4, Kreis Schweinfurt, ein Duell zweier Mittelfeld-Teams. Überschaubares Niveau, kein echter Leckerbissen, aber eben Amateurfußball pur.
„Wir haben’s trotzdem gemacht“, sagt Simon Müller und muss dabei lachen. Denn es war durchaus eine schwere Entscheidung. Nachvollziehbar, schließlich sind Müller und Greß zu diesem Zeitpunkt in der damaligen Bezirksoberliga aktiv, haben sogar Angebote von höherklassigen Klubs aus der Landes- und Bayernliga vorliegen.
Doch sie gehen den Schritt zurück in die Heimat, begraben die sich abzeichnende Karriere im gehobenen Amateurfußball und hören auf ihr Herz. Simon Müller und Alexander Greß sagen „Ja“ zur SG Oberschwarzach/Wiebelsberg und heuern zur Saison 2011/12 als Spielertrainer-Duo an. Sie sind beide gerade erst 21.
Eine sensationelle Premieren-Saison
Vorbehalte gegenüber den beiden Jung-Trainern gibt es kaum. „Es war verrückt, bei unserem allerersten Training waren 35 Spieler da. Jeder wollte kommen und wir sind richtig gut aufgenommen worden. Auch von den älteren Spielern“, sagt Greß. Aufbruchsstimmung beim bis dato vor sich hindümpelnden A-Klasse-Klub.
Der Saisonstart verläuft vielversprechend. Mit einem souveränen 6:0-Erfolg am ersten Spieltag beim SC Brünnau setzt sich die SG Oberschwarzach/Wiebelsberg gleich mal auf Platz eins – und gibt die Tabellenführung nicht mehr aus der Hand: 24 Spiele. 24 Siege. 136:12 Tore. Aufstieg in die Kreisklasse. Statement. Sogar der Kicker interessiert sich nun für den kleinen Klub aus Unterfranken und veröffentlicht einen Bericht. Deutschlandweite Schlagzeilen statt Tagblatt-Stenogramm.
Auch in der Kreisklasse surft die Mannschaft des Spielertrainer-Duos weiter auf der Erfolgswelle. 79 Punkte stehen nach 28 Spieltagen zu Buche. Wieder Meister, der nächste Aufstieg. Der Vorsprung auf den Tabellenzweiten TV Oberndorf beträgt 18 Zähler. Torverhältnis: 120:22. Überragend!
„Damit, dass es gleich von Beginn an so gut läuft, haben wir natürlich nicht gerechnet. Und Aufstiege kann man sowieso nicht planen. Doch wir hatten schon damals eine richtig gute Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern, das hat sich einfach gut entwickelt. In der Kreisliga dachten wir aber, dass es deutlich schwerer für uns wird“, sagt Alexander Greß.
Durchmarsch in die Bezirksliga
Wurde es nicht. In den 30 Spielen der Saison 2013/14 verlässt die SG Oberschwarzach/Wiebelsberg den Platz 27-mal als Sieger, zweimal werden die Punkte geteilt, es setzt nur eine einzige Niederlage. Von den 111 erzielten Toren gehen 46 auf das Konto von Simon Müller (37) und Alexander Greß (9). Der dritte Aufstieg in Folge, zudem gewinnt das Team zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte den Toto-Pokal-Wettbewerb auf Kreisebene und belohnt sich mit einem Heimspiel gegen den 1. FC Schweinfurt 05. Der vorläufige Höhepunkt eines wahrhaftigen unterfränkischen Fußballmärchens.
„Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Wir sind aus dem Feiern ja gar nicht mehr rausgekommen“, erzählt Sebastian Reinstein, der schon damals dabei war und das Team mittlerweile als Kapitän aufs Feld führt: „Doch in der Bezirksliga wurden wir schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.“
Gleich zum Auftakt verliert die SG Oberschwarzach/Wiebelsberg das Derby beim nur rund sieben Kilometer entfernten 1. FC Geesdorf mit 2:5, es folgen eine bittere 1:5-Pleite gegen den FC Fuchsstadt, ein 0:1 beim FC Gerolzhofen und ein 1:2 gegen den SV-DJK Unterspiesheim. Der erste große Rückschlag für Simon Müller und Alexander Greß. Wie sich Verlieren anfühlt, hatten sie beinahe schon vergessen.
Kontinuität als Erfolgsmodell
„Unser Vereinsvorstand zieht uns ab und zu noch mit dieser Niederlagen-Serie auf und meint, dass wir damals beinahe entlassen worden wären“, sagt Müller, der natürlich weiß, dass diese Aussage nicht ganz ernst gemeint ist. „Wir waren aber trotzdem sehr froh, dass wir das Blatt relativ schnell wenden konnten!“ Am fünften Spieltag holt die Mannschaft beim 3:1 gegen den 1. FC Bad Kissingen die ersten Bezirksliga-Punkte, stabilisiert sich zunehmend und beendet die Saison letztlich auf Tabellenplatz neun.
Die Formkurve zeigt auch in den Jahren darauf weiter nach oben. Die SG Oberschwarzach/Wiebelsberg mausert sich zu einem ambitionierten Bezirksligisten, der immer wieder an der Tür zur Landesliga anklopft. In der Saison 2016/17 scheitert das Team als Tabellenzweiter erst in der Aufstiegsrelegation denkbar knapp an Bayern Kitzingen. Ansonsten stehen seither ein fünfter Platz (2019/21), ein vierter Platz (2018/19), zwei dritte Plätze (2015/16 und 2017/18) sowie ein weiterer Triumph im Toto-Pokal-Wettbewerb im Kreis Schweinfurt (2017/18) zu Buche. In der Saison 2018/19 fuhr die SG Oberschwarzach/Wiebelsberg zudem als unterfränkischer Hallenmeister zum bayerischen Landesfinale um den LOTTO Bayern Hallencup.
Simon Müller und Alexander Greß haben bei der SG Oberschwarzach/Wiebelsberg eine Ära geprägt und erst kürzlich ihren Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert. Im Sommer gehen sie dann mit mittlerweile 33 Jahren in ihre zwölfte Saison als Trainergespann. Eine außergewöhnlich lange Zeitspanne, die sich – da sind sich Müller und Greß einig – mit nur einem einzigen Wort erklären lässt: Freundschaft.
Eine ganz besondere Männerfreundschaft
„Wir kennen uns schon seit unserer Kindheit, sind beste Kumpels und sogar gegenseitig Trauzeuge. Wir unternehmen auch neben dem Fußball in unserer Freizeit viel gemeinsam. Ich könnte mir mit niemand anderem vorstellen, Spielertrainer zu sein – und schon gar nicht über so eine lange Zeit. Nur deswegen funktioniert das!“, sagt Simon Müller.
Die Freundschaft zwischen den kickenden Coaches, die beide mittlerweile Inhaber der B-Lizenz sind, alleine reicht aber natürlich nicht aus, um die großen Erfolge zu erklären, zu denen sie die SG Oberschwarzach/Wiebelsberg geführt haben. Spielführer Sebastian Reinstein stellt neben der fachlichen Expertise des Gespanns vor allem die menschliche Komponente in den Vordergrund und sagt: „Simon und Alexander sind sehr akribisch, sie stecken enorm viel Zeit in die Trainings- und Spielvorbereitung, arbeiten sogar mit Videos und versuchen, die Spieler individuell zu unterstützen. Das alles gepaart mit ihrem absoluten Siegeswillen und ihrer ehrlichen und offenen Art ist sicherlich ihr Erfolgsgeheimnis.“
Wenn ab Anfang März der Ball in der Bezirksliga Unterfranken-Ost wieder rollt, stehen für die SG Oberschwarzach/Wiebelsberg entscheidende Wochen an. Als Tabellendritter ist zumindest der zweite Platz, der zur Teilnahme an der Aufstiegsrelegation zur Landesliga berechtigt, noch in Reichweite. „Wir fühlen uns in der Bezirksliga pudelwohl. Der Aufstieg ist keine Pflicht, aber perspektivisch würden wir natürlich schon gerne noch eine Liga höher spielen“, sagt Alexander Greß. Und Simon Müller ergänzt: „Wir spielen vor allem Fußball, weil es uns Spaß macht. Aber auch, um zu gewinnen. Deswegen ist der Aufstieg natürlich unser Ziel – die Landesliga wäre die Kirsche auf der Sahnetorte!“
Doch nicht nur in der Liga geht’s im Frühjahr in die heiße Phase. Am 1. Mai 2022 ist die Mannschaft von Simon Müller und Alexander Greß einmal mehr im Finale des Schweinfurter Toto-Pokal-Wettbewerbs dabei – bereits zum vierten Mal innerhalb der vergangenen acht Jahre. Den Gegner kennen sie schon: die DJK Dampfach.