Heute vor 50 Jahren wurde die Grundlage geschaffen, dass es heute beim Bayerischen Fußball-Verband (BFV) überhaupt einen Verbands-Frauen- und Mädchenausschuss gibt. Damals hat der DFB Frauenfußball offiziell in die Satzung aufgenommen, eine schon damals längst überfällige Entscheidung und aus heutiger Sicht unvorstellbar, dass es überhaupt eine Zeit gab, in der Frauenfußball offiziell verboten war. Zusammen mit Sandra Hofmann, der aktuellen Vorsitzenden des Verbands-Frauen- und Mädchenausschusses beim BFV, und BFV-Vizepräsidentin Silke Raml sprechen wir über 50 Jahre Frauenfußball und den heutigen und auch künftigen Stellenwert.
Sandra, heute feiern wir 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland. Statt zurückzublicken, denken wir doch jetzt mal 50 Jahre in die Zukunft. Wie sieht der Frauenfußball dann wohl aus?
Sandra Hofmann: Das ist natürlich schwer vorauszusagen. Für den Frauenfußball in 50 Jahren wünsche ich mir aber, dass dann wirklich jeder verinnerlicht hat, dass auch wir Frauen und Mädchen Fußball spielen. Dass sollte einfach eine Selbstverständlichkeit sein, ganz normaler Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens und des Profi- und Breitensports. Da sind wir heute natürlich schon viel weiter als eben noch vor 50 Jahren, aber es ist nicht so, als wären wir schon am Ziel. Ich wünsche mir außerdem, dass in 50 Jahren Frauenfußball nicht mehr mit dem Männerfußball verglichen wird. Das Ziel sollte sein, dass in allen Fußballausschüssen unabhängig vom Geschlecht eine gute Mischung aus unterschiedlichsten Personen und Meinungen herrscht und sich die ganze gesellschaftliche Vielfalt abbildet. Ob meine Wünsche wirklich in Erfüllung gehen, kann ich natürlich erst in 50 Jahren beantworten. Die Zukunft beginnt aber heute und ich bin optimistisch und motiviert, ein großes Stück dazu beizutragen, dass diese Visionen und Wünsche Wirklichkeit werden.
Der BFV hatte im Jubiläumsjahr viel vor. In jedem Bezirk sollten Veranstaltungen und Ehrungen stattfinden und zentral war ebenfalls ein großes Event geplant. Das ist aufgrund der aktuellen Entwicklungen natürlich alles in den Hintergrund gerückt. Wie sieht es denn aus: aufgehoben oder nur aufgeschoben?
Sandra Hofmann: Definitiv nur aufgeschoben! Natürlich stehen jetzt andere Dinge im Fokus, da gibt es überhaupt keine Diskussionen. Aber nur weil wir aktuell die Feierlichkeiten nicht so durchführen können, wie wir es uns alle wünschen, heißt ja nicht, dass es überhaupt keinen Grund mehr gibt, 50 Jahre Frauenfußball zu feiern. Wir stellen uns aktuell wie alle anderen auch mit unseren Bedürfnissen und dem Wunsch, dieses tolle Ereignis zu würdigen, hintan, planen aber auch die Veranstaltungen und Ideen 2021 durchzuführen und umzusetzen – oder besser gesagt: dann, wenn es die Rahmenbedingungen wieder zulassen. Jetzt heißt es erstmal die Kräfte dafür bündeln, dass wir alle gemeinsam als Gesellschaft und Wertegemeinschaft bestmöglich durch die Pandemie kommen. Das ist eine Mammutaufgabe und da ist zumindest aktuell kein Platz für ausgiebige Feierlichkeiten.
Wie würdet ihr die Situation des Frauenfußballs einordnen: Zufrieden sein, was in den vergangenen fünf Jahrzehnten erreicht wurde, oder geht da noch mehr?
Silke Raml: Wir sind noch lange nicht am Ende. Im Frauenfußball steckt großes Potenzial. Wir müssen es schaffen, den Frauenfußball in die Öffentlichkeit und in die Medien zu rücken und die Vereine davon überzeugen, dass der Frauen- und Mädchenfußball das Zünglein an der Waage sein kann, ob ein Verein überlebt oder nicht. Und wenn wir es schaffen, dass sich die Lizenzvereine intensiv mit dem Thema Frauenfußball auseinandersetzen und ihn für sich als gesellschaftspolitische Aufgabe sehen, dann steht uns eine gute Entwicklung bevor. Das kostet Ausdauer, Kraft und viel Überzeugungsarbeit. Das nehme ich aber gerne in Kauf, wenn ich Teil der positiven Entwicklung sein kann.
Sandra Hofmann: Selbstverständlich geht da mehr. Den Status Quo zu verwalten ist ja keine Option und alle Versuche, dies zu tun, waren schon immer ein schlechtes Rezept für eine erfolgreiche Zukunft. Das kann aber auch gar nicht funktionieren, weil wir in einem stetigen Entwicklungsfluss sind – gesamtgesellschaftlich und natürlich auch im Frauenfußball. Es hat sich vor allem in jüngster Vergangenheit vieles positiv geändert. Klischees sind zwar noch da – aber sie werden spürbar weniger. Das ist natürlich eine gute und wichtige Entwicklung. Wir sind aber dennoch nicht zufrieden mit der Situation des Frauenfußballs. Wir wissen, dass da auf jeden Fall mehr geht und das wollen wir natürlich auch erreichen.
Silke, starke Persönlichkeiten im Frauenfußball gab es damals wie heute. Sind die Themen, für die du dich mit deinen Teams im DFB und BFV einsetzt, noch die Gleichen wie zu deiner Zeit als Spielerin bzw. Trainerin?
Silke Raml: Es sind andere Themen. Früher hatten die Spielerinnen ein großes Verantwortungsbewusstsein der Mannschaft gegenüber. Dies hat sich in letzter Zeit gravierend verändert. Auf einige Spielerinnen ist heute weniger Verlass als früher, die Bindung zum Verein und zur Mannschaft nicht mehr so stark. Das macht es für Vereine immer schwieriger, ein verlässliches Team aufbieten zu können. Wir sind hier gefordert, den Vereinen flexible Spielangebote zu unterbreiten, um den Frauen- und Mädchenfußball weiterhin interessant zu machen. Gesellschaftliche Trends verändern den Fußball und darauf müssen wir reagieren. Nur noch ein normaler Ligaspielbetrieb wie zu meiner Zeit als Spielerin/Trainerin würde auf Dauer das Ende des Frauen- und Mädchenfußballs bedeuten.
Silke, von Großarmschlag im Landkreis Freyung-Grafenau bis hin zur Spitze des Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball im DFB. Kann man so eine Karriere planen?
Silke Raml: Nein und ich hatte auch nie vor, ein Funktionärsamt auszuüben. Im Gegenteil. Ich konnte mich während meiner aktiven Zeit als Spielerin mit den Funktionären des BFV nur schwer „anfreunden“. Aufgrund einer verletzungsbedingten Pause hatte ich dann die Gelegenheit, einen Einblick in die ehrenamtlichen Tätigkeiten eines Funktionärs zu erhalten. Das Aufgabenspektrum fand ich ganz interessant und ich habe dann das Angebot angenommen, mit anzupacken. Ich hatte die Chance, im Bezirk Niederbayern den Frauen- und Mädchenfußball zu verändern – und diese Herausforderung wollte ich annehmen. Dass ich es dann ganz nach oben die BFV-Spitze und zum DFB geschafft habe, ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: Ich bin ehrgeizig, verfolge meine Ziele mit Nachdruck und lasse mich niemals unterkriegen. Natürlich gehört auch ein Quäntchen Glück dazu: ich war zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle.
Sandra, auch du bist schon lange ehrenamtlich für den Fußball tätig, sogar für eine Saison als Bezirksspielleiterin der Herren in Mittelfranken. Du kennst Fußball-Bayern also recht gut. Gibt es denn Unterschiede zwischen dem Herren- und Frauen/Mädchenbereich?
Sandra Hofmann: Seit 2011 bin ich jetzt ehrenamtlich für den BFV tätig. Zuvor war ich Spielerin und Trainerin/Betreuerin im Verein und habe mich auch dort viel engagiert. Noch dazu komme ich aus einer fußballverrückten Familie und habe daher wirklich viele Einblicke in die verschiedenen Facetten des Fußballs. Natürlich ist jeder Bereich anders und hat individuelle und besondere Herausforderungen. Es wäre ja auch kurios, wenn sich die viel längere Geschichte des Herrenfußballs nicht auch gesellschaftlich und infrastrukturell niederschlagen würde. Und dieses ganze Know-how hilft ja auch, die Lücke zu schließen. Nicht alles kann und soll adaptiert werden, aber es gibt ja auch viele Erfahrungen, von denen wir beim Frauen- und Mädchenfußball profitieren können. Und da sind wir dabei. Dafür braucht es manchmal aber auch noch etwas mehr Mut und Selbstbewusstsein und vor allem auch eine Bündelung der Kräfte. Ganz konkret heißt es für uns als Verband, ganz eng mit den Vereinen zusammenzuarbeiten – mit denen, die sich trotz aller Hürden entschließen, reinen Mädchenfußball anzubieten und auch denen, die sich schon viele Jahre im Frauen- und Mädchenfußball engagiert sind.
Wie schon beschrieben, warst du Bezirksspielleiterin in Mittelfranken und bist dann an die Spitze der Frauen/Mädchen gewechselt. Was treibt dich an, dich an höchster Stelle für den Frauen- und Mädchenfußball einzusetzen?
Sandra Hofmann: Weil es eine Herzenssache für mich ist! Warum engagiert sich überhaupt jemand ehrenamtlich. Die Basis ist doch immer die Leidenschaft für ein bestimmtes Thema oder eine Tätigkeit. Und ohne Leidenschaft gäbe es keine Erfindungen, keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse und Entwicklungen. Und ich trage nun mal die Leidenschaft für Fußball im Allgemeinen und Frauen- und Mädchenfußball im Speziellen in mir. Da gibt es auch keinen Unterschied, an welcher Stelle sich jemand in dem gesamten System engagiert. Aber jeder entwickelt für sich ein Gefühl, wo er seine Visionen am besten umsetzen kann und der Gesamtidee am besten helfen kann. Ich habe damals im Kreis Neumarkt/Jura als Kreisbeauftragte für den Frauen- und Mädchenfußball begonnen, weil ich gespürt habe, dass ich etwas erreichen und vielleicht auch verändern kann. Ich wollte die Mannschaften unterstützen und Verband und Vereine näher zusammenbringen. Meine Motivation ist mit der aktuellen Position an der Spitze des Verbands-Frauen- und Mädchenausschusses mindestens genauso hoch wie zu Beginn der Funktionärslaufbahn, nur das Gebiet – ganz Bayern – natürlich etwas größer als mein Heimatkreis (lacht). Trotzdem müssen wir die Probleme und Themen ganzheitlich angehen. Und wir haben auch schon viel geschafft! Das ganze Team brennt für den Frauen- und Mädchenfußball. Egal ob in den Bezirken und Kreisen oder auf Verbandsebene: Ich spüre eine enorme Motivation und das macht mir als Teamplayerin enorm viel Spaß. Die spielfreie Zeit, der Start des Trainingsbetriebs, der Restart der Ligen, die Hygienekonzepte usw. – das hat allen Beteiligten unfassbar viel Arbeit bereitet, zusätzliche Arbeit wohlgemerkt. Gemeinsam mit den Vereinen wurden aber auch diese Hürden genommen und das war eine große Leistung beider Seiten! Für mich ist es außerdem wichtig, das Wort für den Frauen- und Mädchenfußball auf höchster Verbandsebene zu ergreifen und davon mache ich regelmäßig Gebrauch. Solange, bis auch wirklich jeder begriffen hat, dass auch wir Frauen auf dem Platz mit der gleichen Leidenschaft Fußball spielen und auch neben dem Platz in Fußball-Führungspositionen gehören.
Wie erlebst du den (bayerischen) Frauenfußball aktuell mit und ohne Corona?
Sandra Hofmann: Wir dürfen die aktuellen Zahlen nicht schönreden. Wir hatten bereits vor Corona mit Mannschaftsrückgängen zu kämpfen. Durch die Pandemie werden sich weiter Mädchen vom Mannschaftssport Fußball abwenden und somit das Weiterspielen von Mannschaften gefährden. Und es wird viel Kraft kosten, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Wir können auch nicht davon ausgehen, dass das am Ende all das klappt, was wir uns vorstellen. Solche Entwicklungen hinzunehmen, ist aber keine Option und jede Frau und jedes Mädchen, das im Verein Fußball spielen möchte, ist es wert, dass wir nicht nachlassen und unser Bestes geben, dies zu ermöglichen.
Siehst du in der Veränderung der Mediennutzung vor allem in Bezug auf Instagram- oder anderen Social Media-Kanälen von Vereinen oder Spielerinnen eine besondere Chance für die „Nischensportart“ Frauenfußball?
Sandra Hofmann: Mit „Nischensportart“ geht es ja schon los. Frauen- und Mädchenfußball ist keine Nischensportart, sondern die Vereins- und Wettkampfsportart, die von Frauen am häufigsten betrieben wird. Punkt! Und wenn es darum geht, zum einen mit den Frauen- und Mädchen, die bereits Fußball spielen und zum anderen mit den Frauen- und Mädchen, die wir für unseren Lieblingssport begeistern wollen, in Kontakt zu treten, muss man sie dort abholen, wo sie sich aufhalten. Und da spielen die Sozialen Medien natürlich eine große Rolle. Gerade beim Nachwuchs läuft die Kommunikation mittlerweile zum Großteil über die Sozialen Medien und dort werden Gemeinsamkeiten gelebt und ausgetauscht. Von daher sehe ich hier ganz klar eine Chance, Mädchen auf unsere Sportart aufmerksam zu machen und sie an den Sport zu binden. Ich wünsche mir noch mehr Frauenfußballidole, die auch in den Sozialen Medien noch stärker Werbung machen. Auch wir haben beispielsweise einen virtuellen Tag des Mädchenfußballs auf Instagram organisiert. Das gab es in dieser Form vorher noch nicht – ein ganzer Tag nur für den Mädchenfußball! Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass die wahren Fußballemotionen immer noch am Platz gelebt werden und natürlich ist es das Ziel, dass dies auch weiterhin Bestand hat. Dafür müssen wir aber in alle Richtungen denken und alle Möglichkeiten nutzen, auf uns aufmerksam zu machen.
Euer Fazit: Sind 50 Jahre Frauenfußball genug?
Sandra Hofmann: Muss ich darauf antworten? (lacht) Ist ja klar: Auf keinen Fall! Der Frauenfußball hat noch lange nicht genug! Und solange es Menschen gibt, die auch nur ansatzweise so denken, wäre das der beste Beweis dafür.
Silke Raml: (lacht) Da bin ich ganz bei Sandra. Nein, 50 Jahre Frauenfußball sind natürlich nicht genug. Wovon wir genug haben ist das Klischeedenken und vom sich stetig „Behaupten müssen“. Wir gehören genauso zum Fußball wie die Buben und Herren. Der Frauenfußball hat sich in den letzten 50 Jahren enorm entwickelt. Die Frauen und Mädchen spielen einen attraktiven und technisch anspruchsvollen Fußball. Wir sind den vielen Frauen und auch Männern, die sich gegen alle Widerstände hinweg für ein Ende des Verbots des Frauenfußballs eingesetzt haben extrem dankbar und möchten die Geschichte noch lange weitererzählen.