Chiara-Sophie Matthes ist 19 Jahre alt und spielt Fußball. So weit, so normal. Am vergangenen Wochenende hat sich die Unterfränkin allerdings einen festen Platz in den bayerischen oder sogar deutschen Fußball-Geschichtsbüchern erspielt.
Nein, sie ist nicht die erste Frau, die nach dem Verbandstags-Beschluss im Sommer in einer Herrenmannschaft auf Torejagd geht – das waren Jessica Eckl und Sandra Pfannenstein beim FC OVI-Teunz. Bis dato gibt es sogar bayernweit schon elf Frauen, die das entsprechende Spielrecht beantragt haben und besitzen. Aber sie ist die erste Frau, die in einem Herren-Punktspiel von ihren Teamkollegen als Torschützin gefeiert wird - beim Auswärtsspiel der SG VfB Burglauer II/Reichenbach III/Weinheim II bei der SG ASV Sulzfeld II/SV Merkershausen II/FC Eibstadt II in der B-Klasse Rhön 2 in Unterfranken.
Ganze zehn Minuten dauerte es nach Anpfiff, dann hatte sie alle möglichen Klischees zu den unterlegenen Frauen widerlegt. Der Ball lag im Netz des Gegners und Chiara-Sophie war umringt von gratulierenden Teamkollegen. Am Ende gewann ihr Team 4:1. Dass sie in der Schlussviertelstunde sogar noch die Kapitänsbinde trug, bestätigt ihr Standing im Team nur noch. Dabei sieht sie dieses „Ausnahmeereignis“ rückblickend vollkommen gelassen. Das wurde im Telefonat mit ihr schnell klar.
Chiara-Sophie, wie fühlt es sich an als „Ikone“ des Frauenfußballs?
Chiara-Sophie Matthes: (lacht) So habe ich das bisher nicht gesehen und so sehe ich das auch jetzt nicht. Ich habe auch nicht wirklich realisiert, dass da etwas Besonderes passiert ist. Es ist doch was ganz normales, dass man Fußball spielt und auch dass man beim Fußball ein Tor schießt.
Aber nicht unbedingt als erste Frau in einem Herren-Punktspiel. Da waren die Reaktionen nach dem Spiel sicher andere, als bei deinen bisherigen Fußballspielen.
Matthes: Ja. Es kamen nach dem Spiel schon viele auf mich zu und haben gratuliert. Glückwünsche von den Mitspielern und Bekannten aus dem Verein und aus meinem persönlichen Umfeld. Und aus der Familie, die schon auch stolz ist. Aber vor allem, weil ich mich durchgesetzt habe. Natürlich ist es schon was anderes gewesen, als in meinen bisherigen Spielen zweier Frauenteams.
Als Torschützin haben sich Klischee-Diskussionen über „Mithalten“ erübrigt. Aber was war anders?
Matthes: Technisch gesehen war das kein Problem. Da bin ich vielleicht sogar einen Tick besser als andere, die auch auf dem Platz standen. Aber natürlich ist es bei den Herren insgesamt schon ein Stück schwieriger. Der Fußball ist schneller, natürlich wird es körperlich in einem Zweikampf schwieriger und die Intensität über die Spieldauer ist höher. Aber man muss dann schauen, dass man geschickt spielt, mehr läuft und die Räume nutzt, um gar nicht in die Zweikämpfe zu müssen. Aber so war schon immer mein Spiel.
Du könntest auch in einer Frauen-Mannschaft spielen. Warum die bewusste Entscheidung für das Herren-Team?
Matthes: Ich habe auch schon vor der langen Corona-Pause mit Jungs gespielt – zuletzt bei der U18. Bei den Herren ist der Leistungsgedanke schon ein bisschen stärker ausgeprägt. Jeder hat richtig Lust, ist das Spiel über voll konzentriert. Natürlich geht es in erster Linie um den Spaß, der Leistungsgedanke ist mir aber auch sehr wichtig. Der ist bei den Herren trotz Freizeitniveau dann doch mehr zu spüren.
Aus deinen Worten sprüht auch ein gewisses Selbstbewusstsein. Braucht es das, um als Frau diesen Schritt zu gehen? Er ist ja auch nicht frei von Vorurteilen.
Matthes: Mag sein. Grundsätzlich gehört ein gewisses Selbstbewusstsein ja auch zum Fußball und zum Sport generell dazu. Es ist ja auch ein Wettkampf. Ich habe mir da aber keine großen Gedanken gemacht. Ich hatte aber auch das Glück, von Beginn an bei allen im Verein die Unterstützung zu spüren. Ich konnte sehr positiv ins Spiel gehen. Dass es nicht jeder toll findet, wenn Frauen bei den Herren mitspielen oder Frauenfußball überhaupt – das ist mit Sicherheit so. Gibt ja nicht wenige, die meinen, dass die Frauen-Nationalmannschaft gegen jede Kreisklasse-Mannschaft verlieren würde. Das ist natürlich Unsinn. Aber eben auch kein Grund, es dann nicht zu machen.
Du kannst diesen Schritt, bei den Herren zu kicken, also empfehlen?
Matthes: Das ist eine persönliche Entscheidung. Das muss einfach jede Person für sich überlegen. Für die eine macht es Sinn, für die andere vielleicht eher nicht. Jetzt gibt es aber zumindest die Option.
Mit der Europameisterschaft in England stand der Frauenfußball medial im Fokus wie nie zuvor. Und damit auch Diskussionen zum Stellenwert, Wertschätzung, Gleichberechtigung. Was bleibt davon, deiner Meinung nach? Ändert sich langfristig etwas oder verpuffen die Diskussionen?
Matthes: Das kann ich natürlich nicht beurteilen. Da gibt es so viele Faktoren, die dies beeinflussen. Aber natürlich ist alles gut, was die Situation für Frauenfußball oder für Fußball spielende Frauen und Mädchen verbessert.
Chiara-Sophie Matthes ist übrigens nicht die einzige Frau, die zusammen mit einem Herrenteam am vergangenen Wochenende auf dem Platz stand und einnetzen konnte. Ronja Taubmann streifte sich das Trikot des TSV Wasserburg II über, wurde im Spiel der „Löwen“-Reserve gegen Eggstätt eingewechselt und traf in er 82. Spielminute zum viel umjubelten 2:2-Ausgleich. Allerdings – das ist der kleine aber feine Unterschied – war dies „nur“ ein Testspiel. Allerdings auch ein besonderes – nicht nur wegen des Torerfolgs. Zwei Jahre lang hatte Taubmann bereits regelmäßig mit dem Kreisklasse-Team trainiert. Aus beruflichen Gründen geht es nun vorerst nach Peru. Und so war im Team die Idee dieses „Abschiedsspiels“ geboren. Sie wird den Wasserburgern nun also nicht nur als Teammitglied und Trainingspartnerin fehlen, sondern auch als Torschützin. Allerdings dürfte es nicht allzu lange dauern, bis weitere Namen in der Reihe von Jessica Eckl, Sandra Pfannenstein, Chiara-Sophie Matthes und Ronja Taubmann als bei den Herren erfolgreich aufspielende Frauen auftauchen werden.