„Fußball ist meine Leidenschaft. Ich bin fußballverrückt!“ – diese Sätze hört man in Deutschland mit Sicherheit von mehreren Millionen Menschen. Sie sind vernarrte Fußball-Fans oder begeisterte Spielerinnen und Spieler, kümmern sich in den Vereinen um den Fußballnachwuchs, darum, dass der Ball rollt, oder sind als Unparteiische aktiv. Viele bestimmt auch in Doppelfunktion. Wer sich mit der 15-jährigen Amelie Neundorfer aus der gut 5000 Einwohner zählenden oberfränkischen Gemeinde Frensdorf, die gut zehn Kilometer südlich von Bamberg liegt, unterhält, bekommt dann aber doch Zweifel, ob immer alle so wirklich fußballverrückt sind. Aber vielleicht ist Amelie einfach nur noch fußballverrückter.
Zur vereinbarten Zeit ist sie am anderen Ende der Telefonleitung. Natürlich am frühen Nachmittag. Vormittags und bis zum frühen Nachmittag ist sie selbstverständlich in der Schule, der späte Nachmittag und Abend gehört dem Fußball, die Wochenenden sowieso. „Ich spiele Fußball seit ich in der ersten Klasse bin“, erzählt Amelie. Soweit nicht ungewöhnlich. Mittlerweile kickt sie aber gleich in zwei Mannschaften. Bei der JFG Rauhe Ebrach Frensdorf mischt sie als einziges Mädchen das B2-Junioren-Team und die Kreisklasse West auf, bei der DJK Don Bosco Bamberg ist sie unter ihresgleichen und sorgt mit ihren Toren dafür, dass ihr Team in der B-Juniorinnen-Landesliga eine gute Rolle spielt. Das Zweitspielrecht des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) macht es möglich.
Als Mädchen in zwei Fußballmannschaften – das kommt natürlich nicht so häufig vor und wer in einer Fußball-Mannschaft aktiv ist, weiß, wie der Wochenplan mit zwei Fußballmannschaften, Trainings und Meisterschaftsspielen aussehen muss. Für Amelie „alles kein Problem. Es macht ja Spaß!“
Damit aber nicht genug, denn mittlerweile ist Amelie auch noch aktive Schiedsrichterin – eine der Jüngsten im Freistaat. Im Januar dieses Jahres hat sie den dreitägigen Neulingslehrgang der Schiedsrichtergruppe (SRG) Steigerwald absolviert, ihre Prüfung erfolgreich abgelegt und dafür die Lizenz und ihre erste Schiedsrichterinnen-Ausrüstung bekommen. Der Gedanke, sich als ambitioniertes Nachwuchstalent wirklich intensiv für die Spielleitung als Unparteiischer zu interessieren, ist für die meisten Jugendlichen eher abwegig. Schließlich gilt die Konzentration vor allem der Perfektionierung der Freistoß- oder Dribbelfertigkeiten und nicht unbedingt dem manchmal doch recht komplexen Regelwerk und der Auseinandersetzung mit den vielen Menschen, die oft nur meinen, dieses Regelwerk zu kennen. Und auch nach dem Spiel mit der Mannschaft zu feiern, kurz unter die Dusche zu hüpfen und den Spieltag abzuhaken, ist für die meisten wesentlich attraktiver, als sich nach Abpfiff auch noch der korrekten Aufarbeitung und dem Elektronischen Spielbericht zu widmen.
Wie kommt man also mit 15 Jahren auf die Idee, sich für einen Neulingskurs anzumelden und eine weitere Fußball-Karriere als Schiedsrichterin zu starten? „Frank Burkard, ein Freund von meinem Papa, ist Schiedsrichter und durch ihn habe ich mich auch mit dem Thema ‚Schiedsrichter‘ mehr beschäftigt. Ich fand es dann schon auch cool, was die Schiedsrichter für eine Rolle im Fußball haben. Sie leiten ja das ganze Spiel und haben eine große Verantwortung“, erklärt Amelie, als wäre das der normalste der Gedanke der Welt. Als Burkard dann im vergangenen Jahr wieder einmal die Werbetrommel für den Schiedsrichter-Nachwuchs gerührt hat, war das Interesse bei Amelie endgültig geweckt.
Mit insgesamt 34 anderen Teilnehmenden startete die Schülerin am 3. Januar in ihren Ferien in den Neulingslehrgang. In Karalina Schwab saß noch ein weiteres Mädchen, das sie noch aus der Grundschule kennt, im Raum, der Rest alles Jungs und Männer. „So ist es halt“, sagt sie zum krassen Ungleichgewicht der Geschlechter im Kurs. „Ich mache mir darüber aber keine großen Gedanken. Ich bin es ja gewohnt, beim Fußball meist das einzige Mädchen zu sein.“ Berührungsängste, Unsicherheit – Fehlanzeige! Stattdessen Selbstbewusstsein und eine erfrischende Unbekümmertheit und Neugierde. Wobei – so ganz allein ist sie dann doch nicht in das neue Schiedsrichter-Abenteuer gestartet.
Nachdem sie ihr Interesse an dem Neulingskurs bekundet hatte, sagte der Papa kurzerhand ebenfalls zu. Konrad Neundorfer ist nämlich ebenfalls fußballverrückt. Der 47-Jährige schnürt nicht nur seit fast 30 Jahren die Schuhe für den SV Frensdorf, sondern ist auch Trainer bei der JFG Rauhe Ebrach Frensdorf – und jetzt auch Schiedsrichter der SRG Steigerwald. Wenn der Kalender ohnehin nur aus Fußballterminen besteht, fallen die Termine als Unparteiischer auch nicht mehr ins Gewicht. In absehbarer Zeit werden auch im dritten Kalender der Familie Neundorfer die verbleibenden Lücken mit Spielleitungen gefüllt. „Mein jüngerer Bruder will jetzt auch noch Schiedsrichter werden“, erzählt Amelie. Der ist 13 Jahre alt, spielt natürlich Fußball und irgendwie war es klar, dass sie das erzählt.
Ihre Schiedsrichter-Prüfung hat Amelie ohne Probleme bestanden – „mit voller Punktzahl meine ich mich zu erinnern“, sagt Florian Zimmermann, einer der beiden Verantwortlichen des Kurses der Schiedsrichtergruppe Steiegerwald. „Die Prüfung war am Ende gar nicht so schwer“, resümiert die 15-Jährige. Kniffelig wurde es eigentlich nur zu Beginn des Lehrgangs. „Das war schon auch ein wenig überfordernd. Ich hatte keine besonderen Erwartungen und mir auch vorab nicht so viele Gedanken gemacht. Aber das waren dann schon sehr viele Regeln und vor allem lauter Spezial- und Sonderfälle, die irgendwann in einem Spiel passieren könnten und dann auch exakt so und so zu regeln sind. Da macht man sich als Spielerin ja nie so intensive Gedanken drüber, was eine Schiedsrichterin alles wissen muss, damit es immer fair und gerecht zugeht. Die Prüfungsfragen waren dann aber doch eher die Grundlagen und relativ wenige Spezialfälle. Ich denke auch, dass es ja auch darum geht, vielen Neulingen den Einstieg zu erleichtern und dann in der Praxis zu begleiten.“ Florian Zimmermann von der Schiedsrichtergruppe Steigerwald will das nicht ganz verneinen. „Es geht immer um eine gute Balance. Natürlich müssen gewisse Standards für alle Neulinge eingehalten werden. Die Basics müssen passen. Schließlich sollen auch die Neulinge in der Lage sein, ein Fußballspiel regelkonform zu leiten. Aber es geht auch nicht darum, die Neulinge mit lauter Spezialfragen zu konfrontieren und schon vor dem ersten Einsatz unnötig Ängste vor der Komplexität zu schüren“, erklärt der langjährige Schiedsrichter, der Amelie auch später als einer ihrer sogenannten Paten bei einem Spiel begleitet hat. Dabei unterstützen erfahrene Schiedsrichter die Neulinge, geben Tipps und damit Sicherheit und teilweise können sie auch über Headseats direkt während des Spiels kommunizieren und unterstützen.
Ihre Feuertaufe hat Amelie mittlerweile hinter sich. Am 22. Februar lief sie das erste Mal im Schiri-Dress, mit Pfeife, dem Ball in der Hand und begleitet von zwei Junioren-Teams aufs Feld. „Man wird ja als Unparteiische von der Schiedsrichtergruppe eingeteilt und bekommt dann in der App, in der man auch angibt, wann man Zeit hat und wann nicht, eine Nachricht. Da war ich schon richtig aufgeregt, als da meine erste Partie angezeigt wurde“, erzählt sie. Freundschaftsspiel JFG Steigerwald 2 gegen den TSV Buch 2, Anstoß: 10 Uhr, Pate: Roland Denzler und am Spielfeldrand selbstverständlich auch die Familie und einige Freunde, die sie beim Debüt unterstützten. Mit dem Anpfiff war dann keine Zeit mehr für Aufregung. „Dann ist es eigentlich genauso, wie als Spielerin auch. Da liegt der volle Fokus auf dem Spiel, da ist man ja voll im Tunnel.“ Am Ende gewannen die Gäste 4:2, keine besonderen Vorkommnisse, alles souverän gemeistert!
Bis heute leitete sie noch drei weitere Partien, am 26. April steht das erste offizielle D-Jugend-Meisterschaftsspiel an. „Am meisten Spaß macht mir aber der Einsatz als Schiedsrichter-Assistentin. Da arbeitet man ja auch als Dreier-Team zusammen, kommuniziert über Headset und als ich da zum Beispiel ein knappes Abseits erkannt und richtig entschieden hatte – da war ich echt voll stolz und das ist natürlich ein super Gefühl“, erzählt Amelie, die nach ihren bisher noch wenigen Einsätzen durchaus schon etwas von der Persönlichkeitsentwicklung spürt, von der langjährige Unparteiische erzählen und die von ihnen häufig auch als der wohl größte positive Aspekt ihres Hobbies bezeichnet wird. „Ja schon“, sagt sie. „Man spürt schon die Verantwortung, aber auch die andere Rolle und die Position auf dem Spielfeld, den Respekt der Spieler. Und ich glaube schon, dass ich da mittlerweile auch etwas selbstbewusster auftrete“, sagt die 15-Jährige.
Ein besonderes Highlight waren bisher die beiden Einsätze mit ihrem Papa zusammen. Nicht bei den „kleinen Jungs“, sondern bei den Herren. Zweimal stand sie im Februar bei Freundschaftsspielen mit der Fahne am Platz. Auf der einen Seite Amelie, auf der anderen ihr Vater und mittendrin der ebenfalls erst 22-jährige, aber mit mittlerweile 144 Spielleitungen durchaus erfahrene Elias Tsatsios.
„Das war eine tolle Erfahrung und hat viel Spaß gemacht“, erinnert sie sich gerne an diese Spiele. Auch hier lief die Teamarbeit hervorragend und reibungslos. Unruhe und Probleme werden ohnehin eher von außen ins Spiel reingetragen. Und das ist bekanntlich auch die Schattenseite des Ganzen. Man mag es kaum glauben, aber in den bis dato erst einstelligen Einsätzen in Freundschaftsspielen im Nachwuchsbereich hat auch Amelie erste Erfahrungen gemacht mit Zuschauern, die den Fußballplatz als Bühne für ihre eigenen Persönlichkeitsdefizite nutzen. „Bei einem Spiel waren eigentlich nur Eltern am Platz und dann gab es eine knifflige Entscheidung und dann wurde ich da vom Spielfeldrand für meine Entscheidung beschimpft. Vielleicht war sie auch falsch, aber das fand ich schon schlimm in dem Moment“, erzählt sie. „Am Ende ging dieser Moment natürlich vorbei und dann ist man ja auch schnell wieder mit anderen Gedanken und Aufgaben beschäftigt“, sagt Amelie. Ihr Pate stand auf der anderen Spielfeldseite und hatte davon nichts mitbekommen, die anderen Erwachsenen haben damals nicht weiter reagiert – die zweite unschöne Erfahrung in solchen Momenten.
Alle Zweifel, dass solche Erfahrungen ihre Lust aufs Pfeifen schmälern, wischt Amelie schnell beiseite. „Es macht mir einfach Spaß und ich möchte, solange es geht, beides machen – Fußball spielen und als Schiedsrichterin Spiele leiten“, sagt sie. Wenn es darum geht, wobei ihr fußballverrücktes Herz höherschlägt, gibt es dann aber doch eine klare Präferenz – zumindest noch: „Fußball spielen ist dann schon noch mal was anderes. Das hat für mich immer noch die größere Bedeutung!“, sagt Amelie.