Die Geschichte klingt wie ein Märchen, aber sie ist wahr. Dickson Abiama, Stürmer bei der SpVgg Greuther Fürth, hat vor fünf Jahren noch in der Landesliga Nordost gespielt. Wie war dieser wundersame Aufstieg möglich?
Manchmal kann Dickson Abiama selbst nicht glauben, was in den vergangenen fünf Jahren passiert ist. Die Kurzfassung geht so: Mit 20 Jahren spielte er bei der SG Quelle Fürth, Landesliga Nordost, siebthöchste Spielklasse in Deutschland. Mit 22 Jahren schoss er die SpVgg Greuther Fürth in die Bundesliga. Mit 23 Jahren spielt er plötzlich gegen seine Idole beim FC Bayern München. Ist das ein Wunder? Ist das ein Märchen? Ist es beides? Nein, es ist die Realität. Es ist die Geschichte von Dickson Abiama. Es ist aber auch der Plot einer Story, von der Tausende Kreisligaspieler in Deutschland träumen.
Abiamas Geschichte ist so außergewöhnlich, dass er sie immer wieder erzählen muss, aber auch erzählen will. Denn er hat sich nach oben gekämpft. Er hat nichts geschenkt bekommen, er hat hart dafür gearbeitet, Tag für Tag. "Aber ich hatte auch die nötige Portion Glück. Außerdem habe ich auf meinem Weg Menschen getroffen, die mich unterstützt und gefördert haben. Dafür bin ich allen dankbar", sagt Abiama zurückhaltend, fast schüchtern.
Er ist in Nigeria groß geworden. Er hat dort viel Zeit auf Bolzplätzen verbracht, manchmal hat er auch in der Akademie seiner Onkels gekickt. In einem Verein hat er bis zu diesem Zeitpunkt nie gespielt. Das änderte sich erst, als er 2016 nach Deutschland kam. Außer seinen Eltern kannte er hier niemanden. Deshalb ging er fast jeden Abend auf den Bolzplatz in der Nachbarschaft, suchte Anschluss. Dort erkannten zwei Jungs sofort seine unglaublichen Qualitäten und Spielfreude. Abiama wurde zu einem Probetraining bei der SpVgg Mögeldorf 2000 eingeladen – und durfte bleiben. Fortan spielte er mit den A-Junioren in der Kreisliga und schoss diese mit 29 Toren zum Aufstieg.
Christian Jonczy war schon damals Jugendleiter in Mögeldorf und erinnert sich gerne an seine ersten Begegnungen mit Abiama: "Man hat schnell gesehen, dass er großes Potenzial hat. Dass er es bis in die Bundesliga schaffen könnte, war natürlich überhaupt nicht absehbar. Ich denke heute manchmal noch daran, wie er mit seinem alten Klapperfahrrad zum Training gekommen ist. Meines Wissens nach hat er das zuletzt in Fürth immer noch so gemacht. Dickson ist ein super Typ, den man einfach nur gerne haben kann. Bis heute hält er den Kontakt zu den Jungs und kommt regelmäßig vorbei, wenn es seine Zeit zulässt."
Jonczy beschreibt Abiama als schnellen, technisch versierten Spieler, der mit seinen Qualitäten immer Torgefahr ausgestrahlt hat: "Aber in taktischer Hinsicht hat man bei ihm schon das eine oder andere Defizit feststellen können. Das liegt einfach daran, dass er fußballerisch auf dem Bolzplatz groß geworden ist und keine Grundausbildung im Verein oder gar einem Nachwuchsleistungszentrum genießen konnte. Umso erstaunlicher ist es, dass er es bis ganz nach oben geschafft hat."
Abiama muss schmunzeln, wenn er an seine Anfangszeit in Deutschland zurückdenkt. Er erinnert sich gerne daran und hält bis heute Kontakt zu seinen früheren Weggefährten. "Meine ersten Jahre im Amateurfußball in Deutschland waren super wichtig für mich", sagt Abiama. "Ich kannte niemanden hier. Als ich im Verein war, ging das ganz schnell. Ich habe Freunde gefunden, war direkt in der Gemeinschaft integriert und habe auf diesem Weg die deutsche Sprache lernen können."
Über die SpVgg Mögeldorf ging es weiter zur SG Quelle Fürth und dann zum SC Eltersdorf. Als er dort spielte, wurden die Verantwortlichen der SpVgg Greuther Fürth auf Abiama aufmerksam. "Wir hatten vor der Saison ein Testspiel gegen Fürth, das wir mit 1:3 verloren haben. Dabei ist mir unser einziger Treffer gelungen. Ich denke, dass das mein Bewerbungsschreiben war", erzählt Abiama. Im Sommer 2020 wechselte Abiama aus Eltersdorf direkt zu den Profis der Kleeblätter. "Das war der Moment, als mir klar war, dass noch viel mehr möglich ist für mich", sagt der Angreifer rückblickend. "Ich habe einfach in jedem Training und in jedem Spiel Vollgas gegeben, um noch mehr zu schaffen". Und genau das passierte: Abiama reiste direkt mit ins Sommer-Trainingslager 2020 des damaligen Zweitligisten und gehörte zum Profi-Kader.
In seiner ersten Saison bei der SpVgg Greuther Fürth, die die Mannschaft später mit dem Aufstieg krönte, kam Abiama vorwiegend als Joker zum Einsatz. Ihm gelangen sieben Treffer – unter anderem das 3:2 am letzten Spieltag gegen Fortuna Düsseldorf, das die Fürther völlig überraschend in die Bundesliga beförderte: "Das war einer der schönsten Tage in meinem Leben bisher. Den Aufstieg hat uns vorher niemand zugetraut. Dass mir dann auch noch das entscheidende Tor gelungen ist, hat dem Ganzen natürlich die Krone aufgesetzt."
Und obwohl Abiama gerade seinen Traum lebt, hat er weitere Ziele. Denn er ist extrem ehrgeizig. "Es geht immer noch mehr", sagt er und muss schmunzeln. Zu sehr ins Detail will er nicht gehen, aber eine Berufung für die Nationalmannschaft von Nigeria fehlt noch in seiner Vita. "Es würde mich unfassbar stolz machen, wenn ich für mein Land auflaufen dürfte", sagt er. "Ich bin noch jung, ich gebe alles dafür, dass das noch klappt."
Seitdem Abiama 2016 nach Deutschland gekommen ist, war er nicht mehr in seinem Heimatland. Aber ein großer Teil seiner Familie lebt noch dort: "Alle sind stolz auf das, was ich hier erreicht habe. Sie verfolgen ganz genau meine Karriere. Das macht mich glücklich." Seine Vorbilder sind David Beckham und Cristiano Ronaldo, Manuel Neuer ist für ihn einer der besten Torhüter der Welt. "Das sind Persönlichkeiten, zu denen man aufschauen kann", sagt Abiama. Aber auch er selbst ist inzwischen auf der ganz großen Bühne des Fußballs angekommen – aus der Kreisliga bis in die Bundesliga. Es ist ein modernes Märchen, dessen Handlungsstrang man sich kaum hätte kitschiger ausdenken können.
Autor/-in: Martin Schwartz