Vom 06.-08. Juni 2025 fand unter dem Titel „Profi wird Coach“ ein besonderer Lehrgang statt, initiiert vom DFB-Elite-Schiedsrichter*innen-Fonds. Eingeladen waren Schiedsrichter*innen, die selbst Opfer von Gewalt auf dem Fußballplatz geworden sind. Auch ich war betroffen – bei einem Spiel im Jahr 2022 wurde ich von einem Spieler gewürgt.
Gewalt gegen Schiedsrichter ist keine Ausnahme mehr, sondern ein wachsendes gesellschaftliches Problem. Der Lehrgang verfolgte das Ziel, in einem geschützten Rahmen über persönliche Erfahrungen zu sprechen, Bewältigungsstrategien zu entwickeln und wieder Vertrauen in die eigene Rolle zurückzugewinnen. Besonders eindrucksvoll: Der gesamte Kurs wurde von Bundesliga-Schiedsrichter Sascha Stegemann mitverantwortet, der die ganze Zeit vor Ort war und nicht nur durch seine Fachbeiträge, sondern auch durch seine Offenheit eine zentrale Rolle spielte.
Nach der Anreise und einer ersten Kennenlernrunde begann der Lehrgang am Freitagabend mit einem Vortrag von Dr. Thaya Vester. Dr. Vester arbeitet beim DFB als Kriminologin, und erfasst so gut wie jeden Sonderbericht, der abgeschickt wird. Zudem steckt sie hinter der Auswertung der Gewaltvorfälle – zumindest die, die über den ESB gemeldet werden. Hierfür zeigte sie in ihrem Vortrag spannende Statistiken. Ihre wissenschaftliche Perspektive machte deutlich, wie strukturell und komplex Gewalt im Fußball auftreten kann – und dass Schiedsrichter*innen oft allein gelassen werden. In den anschließenden Gesprächen wurde klar: Der Austausch unter Betroffenen ist heilend, entlastend und notwendig.
Samstagvormittag stellte Tom Bauer mit dem Vortrag „Spielertypen” unterschiedliche Charaktere auf dem Fußballplatz vor. Vom „besten Freund” des Schiedsrichters, Welcher versucht aufgrund Sympathie Vorteile zu erreichen, bis zum „Chef“, Welcher die ganze Zeit den Schiedsrichter kritisiert. Es wurden zu jedem Spieler Hinweise gegeben, wie diese einerseits zu erkennen sind, andererseits wie mit ihnen umzugehen ist. Ziel war, Konflikte frühzeitig deutlich werden und wie man mit diesen deeskalierend handeln kann.
Anschließend starteten wir in der Kunstrasenhalle des DFB-Campus eine Trainingseinheit mit Assad Nouhoum, einem bayerischen Schiedsrichter aus der 3. Liga. Hier stand Sprintfähigkeit, Koordination und Kräftigung im Mittelpunkt.
Am Nachmittag bot Lutz Wagner, ehemaliger Bundesliga-Schiedsrichter und aktueller Lehrwart des DFB, einen lebendigen Überblick über aktuelle Regeländerungen und Trends im Profi-Fußball. Mit seinem typischen Humor und klaren Worten schaffte er es, selbst komplexe Themen leicht zugänglich zu machen.
Ein zentraler Bezugspunkt für den gesamten Kurs war Sascha Stegemann, aktiver Bundesliga-Schiedsrichter. Er war nicht nur maßgeblich an der Organisation des Lehrgangs beteiligt, sondern stand den Teilnehmenden über das gesamte Wochenende hinweg als Ansprechpartner und Gesprächspartner zur Verfügung.
In seinem Vortrag „Stark bleiben unter Druck – Strategien für mehr Resilienz“ sprach er nicht theoretisch über Belastung – sondern ganz persönlich. Stegemann berichtete von einem Vorfall während des Bundesligaspiels VfL Bochum gegen Borussia Dortmund am 28. April 2023. Damals verweigerte er einen klaren Elfmeter für Dortmund – ein Fehler, den weder er noch der VAR korrigierten. Die Folge: massive Morddrohungen, Hassnachrichten, digitale Hetze – und vier Wochen Polizeischutz für ihn und seine Familie. „Meine Frau schrieb mir direkt nach dem Spiel: ‚Oh mein Gott, sie zerreißen dich‘“, schilderte er eindrücklich. Die Drohungen waren so konkret, dass er Strafanzeige stellte und zeitweise überlegte, seine Karriere zu beenden. Doch er entschied sich, weiterzumachen – bewusster, transparenter, mutiger. Seine Offenheit war für viele Teilnehmende ein starkes Signal: Gewalt betrifft nicht nur die C-Klasse – sie reicht bis ganz nach oben. Und sie muss benannt, aufgearbeitet und professionell begleitet werden.
Am Samstagabend ging es mit einem Teambuilding-Event im Escape Room weiter. Das scheinbar spielerische Format war mehr als Unterhaltung – es ging um Vertrauen, Kommunikation und Zusammenarbeit.
Der Sonntagvormittag begann mit David Schmidt. Er referierte über das Beobachtungswesen im Elitebereich. Hier wurde gezeigt, dass die Bundesligaschiedsrichter genauso – zwar mit einem anderen Bogen – aber unter denselben Aspekten beobachtet werden, wie wir Amateurschiedsrichter. Natürlich auf einem anderen Niveau, aber: „Die kochen auch nur mit Wasser”. Deutlich wurde, dass selbst Bundesligaschiedsrichter noch Fehler machen, und von ihren Beobachtern lernen. Zudem hat jeder einen Coach. Beobachten und Coachen wird in der Bundesliga getrennt.
Sonntagmittag folgte nach einem Rückblick die Verabschiedung und der Lehrgang endete. Nicht zu vernachlässigen ist der beachtliche Service des DFB: durchgehend kostenlose Softdrinks, Vollpension mit gehobenem Essen, schöne Doppelzimmer und eine sehr moderne Einrichtung. Der Campus zeigte sich uns von der besten Seite.
„Profi wird Coach“ war kein Lehrgang im klassischen Sinne – Er zeigte uns, dass wir alle mit unseren Erfahrungen bzgl. Gewalt nicht allein sind. Gerade in der Kennlernrunde zeigte jeder auf, dass er bereits das Thema Gewalt erlebt hat. Mir persönlich hat der Lehrgang explizit geholfen, mit meinem erlebten abzuschließen, und endgültig in die Zukunft sehen zu können.
Datum: 06.-08.06.2025, DFB Campus, Frankfurt
Text: Dominik Otte, Bilder: DFB