„Ihr könnt auf uns zählen!“ So lautet die vom Magazin 11 Freunde angestoßene Initiative im Kampf gegen Homophobie, der sich auch der Bayerische Fußball-Verband angeschlossen hat.
Christoph Hertzsch findet die Aktion stark, er spielt selbst bei den „Streetboys“ und ist im Vorstand der Fußballsparte des Vereins Team München aktiv. Seit 2001 ist es das erste – und bisher immer noch einzige – offen schwule Fußballteam, das im offiziellen Ligabetrieb des Deutschen Fußball-Bundes am Ball ist, aktuell in der Münchner C-Klasse 5. Im Interview erzählt der 33-Jährige, wie er sich den weiteren Diskurs über das Thema vorstellt.
Christoph was hältst du von der Initiative „Ihr könnt auf uns zählen“?
Christoph Hertzsch: Sie ist super, das ist ja genau das, was ich schon seit langem predige. Ich selbst gehe nicht als homosexueller Mann auf den Platz, sondern als Fußballspieler, von daher sollte meine sexuelle Orientierung eigentlich gar keine Rolle spielen. Durch das Statement vieler bekannter Spieler und Spielerinnen gerät das Thema jetzt wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Das ist wichtig, um etwas gegen diese latente Homophobie im Fußball zu tun und schwulenfeindlichen Strömungen entgegenzutreten.
Du findest also, dass es mehr ist als eine gut gemeinte Imagekampagne?
Hertzsch: Ja! Wenn ein Spieler wie Max Kruse sagt, ich bin zwar selbst heterosexuell, aber ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn ein Mit- oder Gegenspieler homosexuell ist, dann nehme ich ihm das ab.
Wie erklärst du dir, dass sich bisher noch kein aktiver männlicher Profifußballer öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hat?
Hertzsch: Weil man einfach ein Umfeld dafür schaffen muss, in dem er sich mit diesem Outing auch wohlfühlt. Wenn er davon ausgehen muss, dass er sich zum Beispiel einem riesigen Shitstorm im Internet aussetzen muss oder auf dem Platz beziehungsweise im Stadion offen angefeindet wird, dann könnte auch ich als offen schwuler Fußballer nachvollziehen, warum man diesen Schritt nicht machen möchte. Auf der anderen Seite haben sich in der 2. Liga in Australien schon Spieler als schwul geoutet, da ist das kein großes Problem.
Thomas Hitzlsperger wartete mit seinem Outing auch bis nach dem Karriereende.
Hertzsch: Das war auch noch eine andere Zeit, als er aktiv war. Er hat jahrelang gebraucht, um den Schritt an die Öffentlichkeit zu wagen, es ist ja auch ein sehr persönliches Thema. Sein spätes Outing war daher trotzdem wichtig, um das Thema Homosexualität im Fußball aus der Tabuzone zu holen.
Woher stammen die großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, wenn es um Homosexualität im Fußball geht?
Hertzsch: Leider ist es im Frauenfußball eher andersherum: Dort gibt es das Phänomen der „umgekehrten“ Homophobie. Bei ihnen wird von vornherein davon ausgegangen, dass sie lesbisch sind, einfach nur weil sie Fußball spielen.
Aufgrund der Corona-Pandemie sind momentan keine Fans in den Stadien zugelassen. Erwartest du nach deren Rückkehr auch wieder homophobe Beleidigungen?
Hertzsch: Ja, davon ist leider auszugehen, auch das macht es für einen homosexuellen Spieler so schwierig, dazu zu stehen. Hinzu kommt, dass es innerhalb dieser Schimpfwörter auch noch graduelle Unterschiede gibt. Beleidigungen gegenüber der Hautfarbe – oder wenn einer „Du Jude“ ruft – haben inzwischen meist Konsequenzen, indem Spieler vom Platz gehen, Schiedsrichter das Spiel abbrechen und Vereine sanktioniert werden. Das passiert bei homophoben Äußerungen in der Form noch nicht, und das muss sich schleunigst ändern.
Wie erlebst du als aktiver Spieler Homophobie auf und neben dem Platz?
Hertzsch: Das kommt immer wieder vor, obwohl wir von Anfang an offen mit unserer sexuellen Orientierung umgegangen sind. Das fängt an mit Sprüchen auf dem Platz, zum Beispiel in Zusammenhang mit einem Foulspiel, oder wenn die gegnerische Mannschaft nach dem Abpfiff wartet, bis wir uns umgezogen haben, weil sie mit uns keine Kabine teilen will. Natürlich sind das Ausnahmen und die heutige junge Generation ist da etwas offener. Trotzdem ist man auch im Jahr 2021 noch sehr weit davon entfernt, schwule Fußballer als normal zu akzeptieren.
Müssen Verbände und Vereine mehr tun, um das alte Bild vom harten Männersport, in dem angeblich kein Platz für „Weicheier“ ist, zu korrigieren?
Hertzsch: Da sind wir auf einem guten, aber noch langen Weg. Der DFB tut mittlerweile schon einiges dafür, ein Bewusstsein zu schaffen, dass Homosexualität auch eine Berechtigung im Fußball hat. Von daher ist es wichtig, Homophobie dort zu beseitigen, wo sie auftritt und vor allem auch präventiv zu arbeiten. Trainerinnen und Trainer oder andere Personen im Verein sollten geschult werden, wie sie schwulen Fußballern den Weg zum Outing bereiten können, ihnen danach als Ansprechpartner zur Seite stehen und wie das Thema innerhalb einer Mannschaft, eines Vereins positiv behandelt werden kann.
Was hast du dir für die Fachtagung in Frankfurt am Main beim DFB vorgenommen?
Hertzsch: Erst einmal freue ich mich, dass das Thema auf der Agenda steht. Ich kann aus einer Insiderposition darüber berichten, was wir als queeres Team, das seit mehr als 20 Jahren im offiziellen Ligaspielbetrieb mitmischt, auf dem Platz erleben. Darüber hinaus möchte ich darüber sprechen, wie wir uns eine bessere Aufklärungsarbeit zum Thema Homophobie wünschen. Da ist nach wie vor viel zu tun – und das wird es sicher auch bleiben, wenn sich tatsächlich irgendwann der erste aktive Fußballprofi geoutet hat.